Abschied vom Bonus? Nicht zu empfehlen! Interview mit dem Vergütungsexperten Prof. Dirk Sliwka

Beim Thema variable Vergütung beziehungsweise Bonus ist ein Richtungsstreit erneut voll entbrannt. Unternehmen wie Bosch schaffen die individuelle, leistungsorientierte Vergütung ganz ab;  andere (wie etwa SAP) trauen indes ihren Führungskräften sogar zu, auch ohne aufwendiges Performance Rating diskretionär leistungsgerechte Boni vergeben zu können. Vergütungsexperte Professor Dirk Sliwka (Universität zu Köln) dagegen sieht nach wie vor sehr viele Vorteile in einer mit Regeln flankierten leistungsorientierten Vergütung.

Herr Professor Dr. Sliwka, Bosch schafft nicht nur den Krawattenzwang, sondern auch den an individuellen Zielen orientierten Bonus ab. Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der leistungsorientierten Vergütung?

Ich habe sehr viel Sympathie dafür, den Krawattenzwang abzuschaffen. Beim Bonus habe ich so meine Zweifel, was die Sinnhaftigkeit der Abschaffung angeht. (…) Wir haben einige Befunde, dass gut gestaltete variable Vergütungssysteme die Leistung des Einzelnen steigern, und kaum Feldbefunde, die das Gegenteil zeigen.

Warum dann diese Reaktionen in der Praxis?

Leistung individuell zu beurteilen, ist kein leichter Prozess. Oft haben wir keine objektiven Maße für die Beurteilung. Viele Führungskräfte tun sich zudem schwer damit, negatives Feedback gut zu kommunizieren, und Mitarbeiter hören negatives Feedback nicht gerne – schon gar nicht, wenn es mit einem geringeren Bonus verbunden ist. Im Moment haben manche Unternehmen vor allem die Probleme vor Augen und das Gefühl, dass diese die Vorteile variabler Vergütung übersteigen. Und dann gibt es auch noch typisches „Herdenverhalten“. (…)

Bosch-Chef Volkmar Denner sieht nicht nur praktische, sondern grundsätzliche Probleme beim Bonus. Motivation mittels monetär bewerteter Ziele könne zu schlechterer Leistung führen. Was ist state of the art in der sich mit Anreizen beschäftigenden Forschung?

Sie finden theoretische Argumente sowohl für den Nutzen als auch für einen möglichen Schaden variabler Vergütung. Und Sie finden Praktiker, aber auch Wissenschaftler, die im Brustton der Überzeugung der einen oder der anderen Theorie glauben. Entscheidend ist aber, was „auf dem Platz passiert“: In einer echten Arbeitssituation und mit sauberen Methoden muss ein klarer Kausalnachweis geführt werden, ob ein Vergütungssystem nützt oder schadet.

Gibt es diese kausalen Nachweise?

Es gibt noch zu wenige solcher sauberen Studien, aber in fast allen mir bekannten, die in Unternehmen durchgeführt worden sind, finden sich positive kausale Effekte von variabler Vergütung auf die messbare Leistung. Ich möchte damit nicht sagen, dass es nicht auch Unternehmen geben kann, in deren spezifischer Situation es besser wäre, auf variable Vergütung zu verzichten. (…)

Finanzielle Anreize wurden in so manchem Unternehmen eingeführt, ohne vorab die Konsequenzen zu untersuchen. Nun werden sie teilweise wieder abgeschafft – erneut ohne fundierte Analysen. Was könnte helfen, damit HR nicht im Blindflug agiert?

Ich habe den Eindruck, dass viele Manager zu sehr ihrer Intuition vertrauen. Es gibt aber Möglichkeiten zu evaluieren, ob die Änderung eines Vergütungssystems die Leistung steigert oder nicht: Man muss es in Teilbereichen des Unternehmens ausprobieren und dann messen, ob die Leistung, die Arbeitszufriedenheit oder das Engagement der Beschäftigten dort tatsächlich stärker steigt als in denjenigen Bereichen, in denen die Vergütung nicht verändert wurde.

In vielen Unternehmen und auch bei Bosch wird der Bonus nun daran geknüpft, wie erfolgreich das gesamte Unternehmen war. Ist das eine sinnvolle Alternative zur individuellen Leistungsvergütung?

Das kann in kleinen Unternehmen eine sehr sinnvolle Strategie sein. In großen Unternehmen besteht dagegen die Gefahr von „Trittbrettfahrerproblemen“: Mitarbeiter ruhen sich auf den Anstrengungen der Kollegen aus. Es gibt viele Laborbefunde, die genau dies zeigen. Das heißt aber nicht, dass es schadet, Mitarbeiter am Gewinn zu beteiligen – ganz im Gegenteil. (…) Allerdings sollte man sich von einer an der Performance des Unternehmens orientierten Vergütung nicht automatisch starke direkte Anreizwirkungen versprechen.

Eine andere Alternative ist die teamorientierte Vergütung. Sie soll insbesondere Kooperation in zunehmend komplexen und möglichst innovativen Wertschöpfungskontexten fördern. Was weiß die Forschung über die Wirkung teambezogener Incentives?

Suche die kleinste Ebene im Unternehmen, auf der wesentliche Aspekte des Erfolgs möglichst objektiv messbar sind, und nutze diese Organisationseinheit als Basis für Teamvergütung! So lautet meine persönliche Faustformel. (…) Teamvergütung hat einen weiteren wichtigen Vorteil: Mitarbeiter bekommen einen materiellen Anreiz, sich gegenseitig zu unterstützen.

Wie ist die wissenschaftliche Befundlage bei Teamvergütung?

Wir haben beispielsweise gerade in einer größeren Studie mit dem IAB und dem ZEW im Auftrag des Arbeitsministeriums Mitarbeiter in mehr als 800 Betrieben anonymisiert befragt. Dabei haben wir herausgefunden, dass in Betrieben, die ein höheres Gewicht auf Teamvergütung legen, die Arbeitszufriedenheit und die wahrgenommene Kooperation signifikant höher sind. (…)

Mitarbeiter wollen nicht gleich behandelt werden, individuelle Leistung soll sich lohnen. Was halten sie von diskretionären variablen Vergütungselementen wie etwa ad hoc-Boni, um zu differenzieren?

Ein Grundproblem diskretionärer Systeme liegt darin, dass es im Ermessen der einzelnen Führungskraft liegt, ob und wie ein Bonus gewährt wird. Dies führt oft dazu, dass es innerhalb ein und desselben Unternehmens ganz unterschiedliche Vergütungsnormen geben kann. Manche Führungskräfte bevorzugen es, allen den gleichen Bonus zu zahlen, andere differenzieren stärker zwischen ihren Mitarbeitern. Einige Unternehmen geben daher ihren Führungskräften Regeln an die Hand, wie Leistungsbeurteilungen vergeben werden sollen. (…)

Aber es ist ja genau dieses permanente Gegensteuerung und Reglementieren der Führungskräfte, das in der Praxis zu Kritik an variabler Vergütung führt…

Am Ende liegt hinter einer Verteilungsempfehlung das ehrliche Eingeständnis, dass man Mitarbeiter häufig nicht objektiv bewerten kann. Wenn man sie aber dennoch beurteilen möchte, beispielsweise um gutes Talent Management zu betreiben oder auch um Anreize zu setzen, muss man auf das Urteil von Vorgesetzten oder auch Kollegen zurückgreifen. (…)

In Banken hat im Zuge der Finanzkrise die Regulatorik in die Vergabepraxis von Boni mit dem Effekt eingegriffen, dass vielfach die Fixgehälter erhöht wurden. Wirkt das motivierend?

Einige Befunde in der verhaltensökonomischen Forschung zeigen, dass großzügige Gehälter motivieren. (…) Allerdings zeigt sich in Experimenten auch, dass dieser Effekt nicht sehr nachhaltig ist. (…)  Steigt der Fixlohn in einer Zeiteinheit, dann steigt im unmittelbaren Anschluss auch die Leistung. Bleibt der Lohn jedoch in der Folge auf dem gleichen – höheren – Niveau, dann sinkt die Leistung wieder.

Wie interpretieren Sie das Ergebnis?

Menschen gewöhnen sich sehr schnell an Großzügigkeit. Man müsste also in einem System reiner Fixvergütung stetig neue Impulse setzen, um die Motivation zu steigern. Variable Vergütung hat demgegenüber einen großen Vorteil: Lässt die Leistung nach, dann sinkt auch das Gehalt. (…) Wir sollten aber auch nie die Bequemlichkeit von Menschen unterschätzen.

Herr Professor Sliwka, vielen Dank für das Gespräch!

Das vollständige Interview mit Prof. Dirk Sliwka ist in der Zeitschrift Personalführung, Heft 4/2016, erschienen.