EdTech und Learning Analytics – Möglichkeiten und Grenzen

Lernempfehlungen, adaptives Lernen und Learning Analytics (LA): Diese Begriffe sind in der Aus- und Weiterbildungsbranche derzeit in aller Munde. Doch was steckt hinter diesen Anwendungen und wie „reif“ sind sie in der Anwendung?

Die Anbieter rühren diesbezüglich kräftig die Werbetrommel, viele Anwender sind jedoch noch zögerlich. Experten aus der Aus- und Weiterbildung nehmen Stellung zu den Potenzialen der neuen Technologien.  

Was früher Bildungscontrolling oder Lernerfolgskontrolle genannt wurde, heißt heute Learning Analytics (LA) oder Educational Data Mining (EDM). Und KI-basierte Systeme versprechen sogenanntes „adaptives Lernen“ und automatisch generierte personalisierte Lernempfehlungen, die im Dschungel der Weiterbildungsangebote genau das Richtige für den Lernenden finden und ihm helfen sollen, schneller und effizienter sein Lernziel zu erreichen. Dabei helfen sollen auch Chatbots, deren Anbieter für diese sogar Anwendungsmöglichkeiten im Coaching sehen. (Können Chatbots coachen?)

Emotionen und unbekannte Intentionen: Was Chatbots nur bedingt „erkennen“ können

„Die Anwenderseite hat sich im deutschsprachigen Raum bisher eher zögerlich gezeigt“, sagt Dr. Cäcilie Kowald, Learning Designerin bei Time4you. Dies sei bei technologischen Neuerungen in der Aus- und Weiterbildung seit jeher zu beobachten. Eine gewisse Skepsis gegenüber den neuen Technologien kann Kowald jedoch nachvollziehen; insbesondere dann, wenn seitens der Anbieter von künstlicher Intelligenz die Rede ist.

So hätten etwa Chatbots nun einmal technische Grenzen. „In Maschinen kann man nur das einbauen, was bereits entschlüsselt ist. Emotionen können Chatbots jedenfalls nur sehr bedingt erkennen“, sagt Kowald. Time4you bietet Tools für das Erstellen von Chatbots an. Anders als ein „herkömmlicher“ digitaler Assistent reagiert ein von Time4you gebauter Bot nicht allein auf Befehle, sondern führt Dialoge, beispielsweise über Lerninhalte. Das Ganze beruhe auf einem regelbasierten System, erklärt Kowald.

„Regelbasiert“ heißt, dass der Bot nicht selbstständig „dazulernt“, wie das beim sogenannten maschinellen Lernen der Fall ist, sondern es wird vorab definiert, was der Bot zu verstehen und wie er zu reagieren hat. Bei Bedarf wird der Bot „händisch“ erweitert. „Entscheidend ist sowieso nicht die Technik, sondern die sprachlich-didaktische Aufbereitung von Inhalten und die Gestaltung der Dialogverläufe“, meint Kowald.

Etwas anders ist das bei „Ed the Bot“, der im „SAP Learning Hub“ zum Beispiel in Lerncommunities textbasiert Fragen der User beantwortet. Die SAP Learning Hub ist eine Weiterbildungsplattform für externe und interne technische SAP-Produktexperten. „Ed the Bot“ wird anhand großer Datenmengen trainiert und lernt selbstständig dazu (Machine Learning), um die Intentionen der Nutzer zu erkennen. Auch beim Finden von Kursen und beim Support hilft der Bot. Später soll er beim Selbst-Coaching eingesetzt werden, so die Pläne von SAP

„Unsere Bots lernen dazu, sind aber gleichwohl relativ simpel“, erklärt Thomas Jenewein, Digital Ambassdor bei SAP und ob der vielen Neuerungen des Softwareherstellers viel gefragter Bildungsakteur. „Unbekannte Intentionen der Lerner kann der Bot noch nicht erkennen“, stellt Jenewein klar.

Personalisierte Lernempfehlungen 

Künftig sollen die Lernsysteme von SAP dem Nutzer auch personalisierte Lernempfehlungen geben und sogenanntes „adaptives Lernen“ ermöglichen. „Die Crux dabei sind erstens die Vorhersagemodelle und wie sie den Algorithmen antrainiert werden. Und zweitens müssen die Inhalte, die einem Lerner empfohlen werden, auch noch didaktisch, medial und inhaltlich gut sein. Sonst bringt das alles nichts: Garbage in, Garbage out“, sagt Jenewein.

Dr. Christoph Meier, Geschäftsführer am Swiss Competence Centre for Innovations in Learning (Scil) der Universität St. Gallen, erläutert in seinem Aufsatz „KI-basierte, adaptive Lernumgebungen“ genauer, wie Lernempfehlungen funktionieren. Demnach können Eintragungen im Benutzerprofil (Funktion, thematische Interessen et cetera), Analysen von Empfehlungen anderer Nutzer (Likes) oder algorithmenbasierte Textanalysen den Ausschlag für Empfehlungen geben.

Vorbilder für (Lern-)Empfehlungen sind große Plattformen wie Amazon oder Netflix. Allein das zeigt: „Man benötigt eine große Menge granular vorliegender Lerninhalte, um sinnvolle Empfehlungen geben zu können“, sagt der Bildungsinformatiker Dr. Martin Ebner.

Ebner hat an der TU Graz die Lernplattform I-Moox aufgebaut, die Weiterbildungen auf universitärem Niveau anbietet. Personalisierte  Lernempfehlungen gibt es auf I-Moox nicht. „Wir haben das deaktiviert, weil wir für Empfehlungen, die dem User wirklich einen Mehrwert bringen, noch zu klein sind“, sagt Ebner.

Dieses Problem treibt auch andere Anbieter um. Um den Umfang maschinell kuratierter Lerninhalte zu erweitern, nutzt beispielsweise Sumtotal Systems Kooperationen mit unterschiedlichen Inhalteanbietern. Der gesamte Content wird in der Sumtotal-Bibliothek zusammengestellt und mithilfe des intelligenten Assistenten „Sia“ einem Lernenden je nach Bedarf empfohlen.

Lernender ist in diesem Fall der Mitarbeiter eines Unternehmens, der einen Text markiert und sich auf dessen Basis von Sia verwandte „Lernaktivitäten“ (Videos, Bücher etc.) zuweisen lässt. Dabei werden die „kontextuell relevantesten Ergebnisse“ angezeigt, sagt Doris Niederwieser, Costumer Sales Director DACH bei Sumtotal. Basis dafür sind die Benutzerprofildaten des Mitarbeiters, aber auch dessen Zugriffsrechte.

Wie funktionieren adaptive Lernsysteme? Top Secret!

Die Plattform Prüfungs.TV bereitet Azubis online auf Klausuren und Prüfungen vor und will in Zukunft „adaptives Lernen“ ermöglichen. Das bedeutet, dass das System den Lernenden nicht einfach nur Empfehlungen „ausspuckt“, sondern die Lerner bei der Zuweisung von Lernaktivitäten individuell bei ihrem jeweiligen Wissensstand „abgeholt“ werden. Die weiteren Lernschritte orientieren sich an dem, was der Lerner bereits kann und wie schnell er vorhergehende Lerneinheiten absolviert hat.

„Um die dafür nötigen Vorhersagemodelle und Algorithmen zu entwickeln, benötigen wir eine große Menge an Daten“, sagt Johannes Schulte, Geschäftsführer von Prüfungs.TV. Und damit das intelligente Lernsystem auch wissenschaftlich fundiert ist, kooperiert Prüfungs.TV mit einer Universität. Näheres ist (noch) nicht zu erfahren.

Der Grund: Adaptive Lernumgebungen sind sehr komplex, wie Christoph Meier vom Scil erläutert. Das System brauche Informationen darüber, was der Lernende bereits beherrscht und für welche weiteren Themen er bereit ist. Um den Wissensstand individuell zu diagnostizieren und Vorhersagen zu treffen, werden Wahrscheinlichkeitsrechnungen genutzt. Wenn eine Aufgabe vom Lernenden nicht gelöst wurde, müsse das System ergänzende Erläuterungen bereitstellen und weitere Aufgaben zuweisen – bis am Ende ein Teilthema als beherrscht gilt. Je nach Anbieter berücksichtigen adaptive Lernumgebungen auch mit, wie lange ein Lernender für die Bewältigung von Aufgaben braucht und wie sicher er sich dabei einschätzt.

Bildungsexperte Ebner warnt indes davor, die Potenziale solcher Systeme zu überschätzen: „Lernen ist ein sehr komplexer und ein sozialer Prozess, der pädagogisch-didaktisch nach wie vor nicht eindeutig geklärt ist.“ Mithilfe eines beständig optimierten adaptiven Lernsystems als Lerner schneller ein Lernziel erreicht zu haben, bedeute noch nicht, dass wirksamer gelernt worden sei.

Vom LMS zu Linkedin-Learning bei Boehringer Ingelheim

Auf eine große (Online-)Bibliothek mit mehr als 13.000 Kursen und mehr als 100.000 Videos lässt Boehringer Ingelheim (BI) seine Mitarbeiter zugreifen: Auf der Plattform Linkedin-Learning, deren Angebote jeder der 50.000 BI-Mitarbeiter frei nutzen kann und die inzwischen verknüpft sind mit dem Learning-Management- System (LMS) von Boehringer.

„Ein LMS ist ursprünglich für Administratoren gebaut worden, nicht in erster Linie für die User. Linkedin-Learning dagegen kommt mit einem ansprechenden Frontend daher“, sagt Dr. Karsten Gottke, Global Senior Manager People Growth bei Boehringer Ingelheim. Für die Zusammenarbeit mit Linkedin-Learning spreche ebenso, dass viele Mitarbeiter die Plattform schon privat nutzen, und die zahlreichen Sprachen, in denen die Lernangebote unterbreitet werden. Hinzu komme, dass LinkedinLearning aufgrund von Empfehlungen und anhand des individuellen Lernfortschritts, den die Plattform anzeige, personalisiert genutzt werden könne. „Daneben kuratieren wir selbst Lerninhalte und -pfade“, sagt Gottke.

Dabei spielen auch die Learning-Analytics-Funktionen von Linkedin-Learning eine Rolle. Beispielsweise bietet die Plattform die Möglichkeit, Nutzungsstatistiken zu erheben. Boehringer kann dann sehen, mit welchen Themen sich die Mitarbeiter befassen, wie viele Kurse besucht und in welchem Umfang sie abgeschlossen werden. „Nicht zuletzt wird auch analysiert, welche Aufmerksamkeit Lernkampagnen von BI erzielen“, so Gottke. „Und wir können mithilfe der Analytics-Funktionen eigene Trainingsangebote zielgenau anbieten.“

Learning Analytics: Systemoptimierung oder pädagogische Unterstützung?

Auch I-Moox bietet Learning-Analytics-Funktionen. Hier erhalten die Lernenden auf der Basis anonymisierter Daten Informationen darüber, wie engagiert sie im Vergleich zu anderen Lernenden sind und wie ihre Noten im Feld einzuordnen sind. Die Lehrenden werden
informiert, wie ihr Kurs „performt“ (wie oft etwas gelesen wird, welche Videos wie lange angeschaut werden etc.). Geht es um die Analyse von Daten im Kontext von Lernen, legt Ebner von der TU Graz Wert auf eine nicht nur akademische Unterscheidung: Educational Data Mining (EDM) versus Learning Analytics (LA).

Während bei EDM vor allem intelligente Lernsysteme entwickelt und optimiert würden, stünden bei LA der Lehrende und die Lernenden im Mittelpunkt, erklärt Ebner. LA sei dann sinnvoll, „wenn die Datenlage umfassend, die Algorithmen valide und die Interpretation durch Lehrende und Lernende ausreichend möglich ist“, so Ebner.

Vorhersagen mittels Analytics, beispielsweise anhand der Daten von erfolgreichen Lernenden, besagten lediglich, es könnte für eine bestimmte Person schwer werden, den nächsten Lernschritt erfolgreich zu absolvieren. Das heiße aber nicht, als Lernender auf den nächsten Kurs verzichten oder aus einem Lernpfad aussteigen zu müssen, sondern könne auch bedeuten, sich – statt auf drei – nur auf eine Prüfung zu konzentrieren. „Es ist wichtig, nicht den pädagogischen Kontext zu verlassen“, sagt Ebner.

(Stand: 9 / 2019)

Der Beitrag ist in voller Länge im Personalmagazin (Heft 12 / 2019) erschienen.

 

„Zwickmühlen“ in der Führungsarbeit entkommen

Mit „Das Dilemma mit den Dilemmas“ (2018, Metropolitan Verlag) ist Christian Lebrenz, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Koblenz, ein Werk gelungen, das nicht nur Spaß macht zu lesen, es erweitert den eigenen Horizont. Dilemmas seien nicht „Fehler im System, sondern ein ganz normaler und zentraler Bestandteil“ von Managen und beim Führen, meint Lebrenz. Er zeigt, wie man diesen „Zwickmühlen“ entkommen kann.  

Im ersten Kapitel definiert Lebrenz, was ein Problem zu einem Dilemma macht und was ein Dilemma von anderen Entscheidungssituationen unterscheidet. In den Kapiteln 2, 3 und 4 geht er dann der Frage nach, woran ein Dilemma zu erkennen ist, warum es in Organisationen Dilemmas gibt – ja geben muss – und auf welchen Ebenen Dilemmas auftauchen („Management-Dilemmas“, „Führungsdilemmas“).

Im zweiten Teil (Kapitel 5 bis 8) stellt Lebrenz aus seiner Sicht wichtige Dilemmas näher vor, bevor er im dritten Teil (Kapitel 9 bis 12) vier der „wichtigsten“ Ansätze (Werkzeuge) vorstellt, die einen „intelligenten Umgang mit Dilemmas ermöglichen“.

Dabei greift Lebrenz, der unter anderem Japanologie studiert hat, auch auf Weisheiten aus dem fernöstlichen Kulturkreis zurück, um „gegensätzliche Pole“ auflösen zu können. Der Frage, wann welches Tool zum Einsatz kommen sollte, widmet sich Lebrenz abschließend. Mit seinem Buch können aus ungeliebten „Zwickmühlen“ spannende Entscheidungssituationen mit bisher unbekanntem Ausgang werden.

Dabei bemüht Lebrenz mit „Sowohl-als-auch-Entscheidungen“ explizit auch fernöstliche Denkweisen. Die Variante, ein Dilemma sogar auszusitzen, dürfte so manchen Manager besonders freuen. Sie machten sich oft unnötig Druck, ist Lebrenz überzeugt.

Interview mit Professor Lebrenz (Personalmagazin, Heft 10 / 2019)

Zu alldem und auch zu ganz privaten Zwickmühlen habe ich Professor Lebrenz in einem Interview für das Personalmagazin befragt. Es hat großen Spaß gemacht, weil Lebrenz Dinge anspricht und Lösungen anbietet, die eher selten thematisiert werden.

 

 

Die digitale Organisation muss demokratisch sein und die Gesundheit fördern

 

Mit den „Big Five Erfolgsfaktoren“ für den Switch zur digitalen Organisation legen Isabell M. Welpe, Prisca Brosi (beide TU München) und Tanja Schwarzmüller die Messlatte für die Bewertung ihres Buchs hoch. Gilt doch das Fünf-Faktoren-Modell (Big Five) als Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung.

Nach Welpe, Brosi und Schwarzmüller können Unternehmen den Übergang zur digitalen Organisation erfolgreich gestalten, wenn in ihnen

(1) der Umgang mit der VUCA-Welt zur Kernkompetenz wird,

(2) durch unterschiedliche Arten von Teamarbeit Disruptionen gefördert werden,

(3) sie demokratischer werden,

(4) die Bedeutung von internen wie externen Beziehungen erkannt und gefördert wird sowie

(5) das Thema Gesundheit stärker in den Fokus rückt.

Evidenzbasierte Handlungsempfehlngen

Diese Erfolgsfaktoren, die in dem Buch „Digital Work Design. Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter“ (2018, Campus) hervorragend lesbar in weitere Teilaspekte aufgegliedert werden, seien aus „der aktuellen wissenschaftlichen Literatur“ abgeleitet.

Entsprechende Handlungsempfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen seien „evidenzbasiert“, so die Autorinnen zur ihrem Anspruch. Am Ende legen diese einen „10-Punkte-Plan“ vor, um mit diesem bei der Umsetzung der fünf Erfolgsfaktoren zu unterstützen.

Zentrale Dimensionen bei der Demokratisierung (3) der Unternehmen sind „Empowerment“ und „Partizipation“.

Dazu Tanja Schwarzmüller im Gespräch (siehe Rainer Spies, Mitbestimmung 4.0 – Entscheidungen beschleunigen, Mitarbeiter beteiligen, in „Personalführung“, Heft 10 / 2018):

„Mitarbeiter müssen in ihrem Aufgabenbereich mehr Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, sie müssen stärker als bislang in Entscheidungsprozesse im Unternehmen einbezogen werden und es dürfen keine Informationsmonopole mehr bestehen“, sagt Schwarzmüller.

„Autonomie“, „Partizipation“ und „Transparenz“ müssten strukturell ermöglicht werden und die Mitarbeiter müssten sich „ermächtigt fühlen“, tatsächlich auch mitzuwirken. Warum?

„Durch die mit Digitalisierung einhergehende Komplexitätserhöhung wird es für Führungskräfte zunehmend schwieriger, ihre Mitarbeitenden im Detail anzuleiten. Gleichzeitig müssen Unternehmen sehr schnell auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren“, sagt Schwarzmüller. Das funktioniere besser, wenn Entscheidungen dezentral getroffen würden.

Ist Partizipation mehr als Mitbestimmung? 

Ihr Verständnis von interner Demokratie sei „umfassender“ als das im Rahmen der formellen Mitbestimmung, meint Schwarzmüller. Diese Auffassung lädt zur Kritik ein.

„Aus der rechtspolitischen Perspektive besteht die Notwendigkeit, unabhängig vom ´good will´ einer effizienzorientierten oder fürsorglichen Führungsebene Teilhabe und Mitgestaltung der Beschäftigten vorzuhalten“, springt Professor Richard Giesen, Direktor am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der LMU München, für die institutionalisierte Mitbestimmung in die Bresche (Spies, 2018).

 

BPM-Kongress 2018: „New Work“ ist längst noch nicht überall

Mit 1 500 Teilnehmern, die Ende Juni 2018 den Personalmanagementkongress besuchten, ist dieser inzwischen ein echter Anziehungspunkt für HR-Manager. Spannend waren auf diesem die Einblicke, die Unternehmen in ihren individuellen Transformationsprozess gewährten, und Antworten auf die Frage, worauf es bei der Weiterqualifizierung von Führungskräften ankommt.

In Zeiten von Buzz-Wörtern und der Fokussierung auf Trendsetter, wie sich selbstorganisierende Unternehmen oder eine Company wie SAP, wo jeder Mitarbeiter seine Arbeitszeit frei wählen kann, wir schnell übersehen: New Work ist längst noch nicht überall.

„Brauchen wir das alles?“

Hat sich Steffen Fischer, Managing Director HR bei der ifm electronic GmbH, gefragt. Sein Unternehmen mit weltweit rund 7 000 Mitarbeitern verstehe sich als „traditionell“, in dem noch von Aufbau- und Ablauforganisation statt von Selbstorganisation zu sprechen, seine Berechtigung hat. So habe die mit 65 Ingenieuren erprobte Agilität in der Entwicklung gezeigt, dass sich viele nach „Struktur und bestimmten Abläufen“ sehnen.

Wenn HR umgeben sei von Entscheidern mit technischem oder betriebswirtschaftlichem Hintergrund, müsse die Funktion erst einmal verdeutlichen, dass der digitale Wandel, in dem sich ifm electronic mit der Herstellung von Sensorik mittendrin befindet, „nicht nur technische, sondern auch soziale Facetten“ beinhaltet, sagte Fischer.

Menschen machen den Unterschied, nicht Technologien

Das betonte auch Andreas Grieger, Executive Vice President Global HR der Weidmüller Gruppe. „Es geht nicht um Technologien“, sagte Grieger. Sein Unternehmen sei Anbieter (Verbindungslösungen) und Anwender von Industrie 4.0 zugleich. Um im Wettbewerb zu bestehen, gehe es um die Kultur und das Mindset, den Unterschied machten die Mitarbeiter. „In einem Unternehmen voller Ingenieure ist es schwer, nicht über Technologie zu reden“, sagte Grieger, der vor allem auf eins setzt, um den Wandel hinzubekommen: Lernen. Persönlichkeit und Fähigkeiten, ja sogar Intelligenz, sind veränderbar, ist Grieger überzeugt.

„Wir wollen stärker auf das erfahrungsbasierte Lernen setzen“, sagte er und betonte, in seinem Unternehmen gebe es nicht das eine große Digitalisierungsprojekt, sondern „viele kleine Piloten“. Lernen aus Erfahrung heißt, Feedback erhalten, sein Tun reflektieren, andere zur Seite haben (Mentoring) und teilen (Wikis, Sharepoint etc.). Wichtig sei aber auch, auf Zufall basierendes Lernen zu ermöglichen, was mit „zulassen“ und „zugestehen“ zu tun habe und eine Frage der Unternehmenskultur sei.

Ausbilder fungieren in der Weiterqualifizierung als Medienpädagogen 

Zurückgedrängt werden soll bei Weidmüller das rein wissensbasierte Lernen. Eine „gute Plattform“ mit virtuellen Lernmedien brauche es dafür gleichwohl, so Grieger. Aber auch hier wandle sich etwas grundlegend, wenn die Mitarbeiter unabhängig von ihrer Führungskraft „vollen Zugriff“ auf die Angebote haben.

Grieger ließ aber nicht unerwähnt, dass die Mitarbeiter nun aus der Konsumentenhaltung herauskommen müssten. „Ihr kriegt jetzt auch die Verantwortung“. „Hexenwerk“ seien die neuen Lernmedien im Übrigen nicht. Die „stellen wir teilweise selber her“, sagte Grieger und überraschte mit der Information, wer dafür zuständig ist: Die Ausbilder, die zu „Medienpädagogen“ weiterentwickelt und in die Weiterqualifizierung einbezogen werden.

Die soll in einem hohen Tempo und nah am Lernbedarf stattfinden, wie Grieger erläuterte. Den Bedarf meldet die Produktion an, etwa aufgrund eines neuen Features einer Maschine. Dann entwickelt ein Ausbilder ein Schulungskonzept, das Eingang in ein Lern-Video findet. Dieses kommt anschließend in der Produktion zum Einsatz, entweder an der Maschine oder im Lernraum. Spannend ist bei Weidmüller auch, wie das Lösen von Problemen oder die Entwicklung neuer Produkte mittels Training Factory, Internet of Things (Livedaten) und Datenbrillen unmittelbar mit Trainingszwecken verlinkt ist. Es entstehe eine „andere Nähe“, sagte Geiger.

Ein erster New Work-Schritt: Abschied von der Kernarbeitszeit

Soweit ist man bei ifm electronic noch nicht. Hier hat es das Thema Lernen immerhin Eingang in fünf zentrale New Work-„Überschriften“ gefunden, die „wir für uns ausgemacht haben“, berichtete Fischer, der ob des gewährten Einblicks auf großes Interesse bei seinen Zuhörern stieß. In zwei großen Bereichen die Kernarbeitszeit aufgelöst zu haben, mag für viele Unternehmen ein kleiner Schritt sein, für ifm war es ein „großer“ (Fischer).

Beim Thema Home Office will der HR-Chef erst einmal das „Mindset“ der Mitarbeiter erkunden. Dass ifm bei New Work noch in den „Kinderschuhen“ stecke, wie es eine Hochschulabsolventin in ihrer Abschlussarbeit formuliert hat, damit kann er leben. „Sie hat Recht“, sagte Fischer. Das habe aber auch seine Gründe: Nicht alles, was in der HR-Welt zu New Work diskutiert werde, passe überall. Das Thema brauche „Struktur und Abklärung.“

Worauf es bei der Weiterqualifizierung von Führungskräften ankommt

Das gilt ebenso für die Weiterbildung von Führungskräften, um sie fit für die Arbeitswelt 4.0 zu machen. Unterstützen will dabei die School of Management der Technischen Universität München (TUM). Für die berichtete Dr. Ellen Schmid, Leiterin des Bereichs Leadership Research & Development, worauf es in der Weiterbildung von Führungskräften ankommt:

  • Selbstlernkompetenz und Reflexionsfähigkeit fördern
  • Erkenntnisse der Organisations- und Führungsforschung vermitteln
  • Neue Erfahrungsräume schaffen, um neue Verhaltensweisen ausprobieren zu können
  • Flexible und individualisierte Maßnahmen anbieten
  • Technologien erlebbar machen

„Führungskräfte müssen wieder lernen zu führen“, sagte Michael Schlüpmann, Head of Talent Resourcing & Leadership bei Hensoldt, das aus dem Airbus-Konzern kommend nun an die Börse strebt. Bei Hensoldt mit seinen 3 500 Mitarbeitern zu führen, impliziere ein anderes Führungsverständnis. „Wir brauchen andere Typen“, um zum „agilen Mittelständler“ zu werden, sagte Schlüpmann. Zusammen mit der TUM School of Management will er seinen Führungskräften vermitteln, Energie in ihre Teams zu tragen, Verantwortung für Wandel zu übernehmen und zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiter „stolz darauf sind, was sie tun“.

Wandel mit denjenigen beginnen, die Lust darauf haben

Schlüpmann gestand ein, dass Selbstlernkompetenz „schwierig zu messen“ sei, während hingegen die Reflexionsfähigkeit der Führungskräfte dadurch unterstützt werde, dass sie Feedbacks von ihren Mitarbeitern bekämen und mit der Hilfe von Coaches an sich arbeiten könnten. Von Vorteil sei, beim Sammeln von neuen Erfahrungen in ungewohnten Kontexten Führungskräfte mit einem ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund zu haben. „Die lieben so etwas“, sagte Schlüpmann.

Interessant war, was er und Ellen Schmid zu der Frage sagten, mit welchen Führungskräften man den Wandel hinbekommt. Hensoldt konzentriere sich auf die „Multiplikatoren, auf die, die wollen“ und nicht auf die, die noch nicht überzeugt seien, sagte Schlüpmann. Das empfiehlt auch Schmid. Die Forschung zeige, dass diejenigen, die Lust auf Veränderung haben, einen „Sog“ in der gesamten Organisation erzeugen könnten.

 

 

People Analytics – in aller Munde, kaum praxiserprobt

In der HR-Community ist derzeit ein Thema in aller Munde: People Analytics beziehungsweise HR Analytics. Dazu haben Reindl / Krügl ein lesenswertes Buch vorgelegt.  In dem fehlen allerdings elaborierte Anwenderberichte aus der HR-Praxis. Das ist kein Wunder, noch fehlen in Deutschland die Unternehmen, in deren HR-Abteilungen flächendeckend mit HR Analytics gearbeitet wird.   

Das Thema People Analytics berühre über die grundlegende Frage hinaus, ob deren Nutzung im Einzelnen „wirklich ein guter und gangbarer Weg ist“, auch ethische Gesichtspunkte und sei nicht zuletzt eine Frage der „Haltung“, betonen die Organisationsberaterin Dr. Cornelia Reindl und Stefanie Krügl, Expertin für agile Organisationsentwicklung und People Analytics, in ihrem Buch „People Analytics in der Praxis. Mit Datenanalyse zu besseren Entscheidungen im Personalmanagement“ (2017, Haufe-Lexware).

Beschäftigte haben ein „beklemmendes Gefühl“

Über die Verwunderung der Autorinnen, dass so mancher Beschäftigte privat ohne größere Bedenken persönliche Daten im Netz zur Verfügung stelle, bei People Analytics im Arbeitsumfeld aber ein „beklemmendes Gefühl in der Magengegend“ habe, verwundert man sich als Leser indes selbst. Schließlich können aus dem Einsatz von People Analytics im betrieblichen Kontext erhebliche Konsequenzen für die Arbeitnehmer abgeleitet werden.

Das Buch von Reindl und Krügl, das mit Gastbeiträgen zu speziellen thematischen Aspekten aufwartet, schlägt einen weiten Bogen von der „kleinen Geschichte mit Daten im Personalmanagement“ über die bisherige Arbeit mit Daten im klassischen Personalcontrolling bis hin zu praktischen Anwendungsfällen von People Analytics. Dass diese Fallbeschreibungen vergleichsweise wenige Fälle umfassen und kurz ausfallen, zeigt: People Analytics ist in den HR-Abteilungen deutscher Unternehmen noch nicht angekommen.

„People-Analytics-Prozessmodell (PAP)“

Eingerahmt werden die genannten Kapitel durch den Teil „People Analytics in der Praxis“. Hier gehen Reindl und Krügl beziehungsweise die Gastautoren noch einmal auf den sehr relevanten Unterschied zwischen „Korrelation“ und „Kausalität“ ein und stellen den möglichen organisatorischen Rahmen für People Analytics-Projekte sowie ein „People-Analytics-Prozessmodell (PAP)“ vor. Dieses umfasst drei Schritte: „Qualitative Phase“, „Quantitative Phase“ und „Umsetzungsphase“.

In der ersten Phase geht es darum, die Problemstellung konkret zu definieren, umfassende (auch externe) Informationen dazu zu sammeln, um den „Gesamtzusammenhang“ zu verstehen, und die eigene Sichtweise auf das Thema zu definieren (Hypothesen bilden). In der zweiten Phase des PAP-Modells werden das Untersuchungsdesign entwickelt, die Datenbasis für die Analyse geschaffen und schließlich die Daten analysiert und interpretiert.

Das Herzstück: Dateninterpretation

„Das Herzstück der quantitativen Phase ist der Schritt der Dateninterpretation“, so die Autorinnen. Speziell dazu kann man sich für die Zukunft noch mehr Input und Hilfen von Experten für die Praxis wünschen, um die Zielsetzung von People Analytics am Ende auch einlösen zu können: Weniger Bauchgefühl als Entscheidungsgrundlage in HR.

 

 

 

Folgen der Automatisierung/Digitalisierung: Neue Kompetenzen aufbauen

Die Automatisierung betrifft jeden fünften Arbeitnehmer, zu diesem Ergebnis kommt The Boston Consulting Group (BCG) in ihrer Analyse „Schöne neue Arbeitswelt 4.0.?“. Diese empfiehlt: Übergreifende und zukünftig gefragte Kompetenzen jetzt in die Aus- und Weiterbildung integrieren.

Laut der Studie sind in Deutschland bis 2025 die Stellen von 7,7 Millionen Beschäftigten von Automatisierung betroffen. Dabei handelt es sich laut BCG keinesfalls nur um Geringqualifizierte: Mehr als 60 Prozent der von Automatisierung Betroffenen sind Fachkräfte, gleichzeitig wächst der Bedarf an Fachkräften. Diesen schätzt das Beratungsunternehmen auf rund sechs Millionen Arbeitskräfte (bis 2030).

Die Antwort auf diese Herausforderung sieht BCG vor allem in der Aus- und Weiterbildung. Grundlage der Weiterbildung müsse ein „neues Kompetenzmanagement“ sein, für das fünf Handlungsfelder definiert werden. The Boston Consulting Group empfiehlt unter anderem:

  • die Bildung von „übergreifenden Kompetenzen“ verstärkt in das duale Berufsausbildungssystem aufzunehmen,
  • „belastbare Prognosen“ zu entwickeln, damit die zukünftig gefragten Kompetenzprofile bereits heute in die Aus- und Weiterbildung integriert werden können, und
  • flächendeckend eine lebensbegleitende Berufsberatung auch für bereits Beschäftigte zu etablieren.

The Boston Consulting Group (2017): Schöne neue Arbeitswelt 4.0? Was wir tun müssen, damit uns nicht die Arbeit ausgeht, Düsseldorf

 

 

Das umstrittene Entgelttransparenzgesetz (EntgTransG)

Mit Beginn des Jahres 2018 müssen Unternehmen, die mehr als 200 Beschäftigte haben, mit einem „individuellen Auskunftsanspruch“ ihrer Mitarbeiter nach dem „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“ (EntgTranspG) rechnen.

Grund genug, sich in verschiedenen Publikationen (BANKMAGAZIN, Personalmagazin) mit dem Gesetz und betrieblichen Prüfverfahren zu befassen. Solche einzusetzen, dazu sind Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern nunmehr „aufgefordert“ .

In dem Beitrag im BANKMAGAZIN (11/2017) betone ich, dass der Gesetzgeber die „Hürden“ für die Beschäftigten sehr hoch gelegt hat, um deren Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG umsetzen zu können. Gleichwohl sieht etwa der Arbeitgeberverband AGV Banken einen deutlichen Mehraufwand auf die Personalabteilungen zukommen.

„Die Unternehmen müssen sich einen erheblich tieferen Einblick in ihre Vergütungssysteme und die Wertigkeit der unterschiedlichen Tätigkeiten verschaffen, um Benachteiligungen ausschließen zu können und auskunftsbereit zu sein“, sagt AGV-Referentin Dr. Eva Semler. Sie empfiehlt, alle im Zusammenhang mit Entgeltentscheidungen liegenden Erwägungen zu dokumentieren, um sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen belegen zu können.

Ist die Angemessenheitsvermutung tarifvertraglicher Regelungen berechtigt?

Der Sektor Banken und Sparkassen ist vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes ein interessanter, weil hier ein hoher Grad an Tarifbindung besteht.  Der Gesetzgeber vermutet nämlich die „Angemessenheit“ tarifvertraglicher Regelungen (§ 4). Bei tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen dürfen sich Beschäftigte nur mit Kollegen der gleichen Entgeltgruppe vergleichen. Das ist eine erhebliche Einschränkung.

Der Gesetzgeber geht also erstens davon aus, dass sich die in Tarifverträgen definierten Entgeltgruppen hinsichtlich ihrer Anforderungen beziehungsweise Wertigkeiten per se unterscheiden. Zweitens geht er davon aus, dass auf der betrieblichen Ebene kein Handlungsspielraum bei der Eingruppierung von Tätigkeiten besteht.

Fakt ist jedoch, dass etwa im Tarifbereich des AGV Banken nahezu 52 Prozent der Beschäftigten oberhalb der höchsten tariflichen Entgeltgruppe bezahlt werden. „Die betrieblichen Gehaltssysteme für diese über- und außertariflichen Bereiche haben wenig mit dem Tarifvertrag zu tun. Die Systeme sind hoch diskretionär und anfällig für Intransparenz und Ungleichbehandlung“, sagte mir im Interview Leonhard Regneri, der bei Verdi Vorsitzender der Bundesfachgruppe Bankengewerbe war und 2016 den Gehaltsabschluss für das private und öffentliche Bankgewerbe mit dem AGV Banken mit verhandelt hat.

Regneri gibt zudem zu bedenken, dass es faktisch und je nachdem, mit welchen Nachdruck Betriebs- und Personalräte sich des Themas annähmen, auf betrieblicher Ebene leistungs- oder durch Knappheiten begründete Höhergruppierungen sowie übertarifliche Gehaltsbestandteile gäbe, die auch bei gleichwertigen Tätigkeiten zu unterschiedlichen Entgelten führten. Hinzu kommen variable Gehaltsbestandteile, bei denen zwischen den Tarifparteien vereinbarte Regelungen in den Betrieben zum Teil gar nicht angewandt werden.

Hinzu kommt: Dass ein Tarifvertrag besteht, bedeutet nicht schon per se, dass Frauen und Männer gleichbehandelt werden. Dass in einem Tarifvertrag Frauen keine Abschläge mehr hinnehmen müssen, versteht sich von selbst und widerspreche dem Verbot der „unmittelbaren“ Diskriminierung. Mit Diskriminierung beziehungsweise Diskriminierungspotenzial im Sinne des EntgTranspG ist insbesondere aber eine „mittelbare“ angesprochen, die sich aus „dem Anschein nach neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ ergibt (§ 3 EntgTranspG).

Intransparente Zordnung von Tätigkeiten im Tarifvertrag? 

„Mittelbares Diskriminierungspotenzial läge beispielweise vor, wenn Leistungsvergütung in frauendominierten Bereichen nicht gezahlt wird oder Elternzeit bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit nicht berücksichtigt wird und dadurch Sozialleistungen oder andere Zahlungen geringer ausfallen würden“, erklärt Dr. Andrea Jochmann-Döll, die sich als Forscherin und Beraterin mit Entgeltgleichheit befasst.

Weiter sagt sie: „In Tarifverträgen des Bankgewerbes werden Fachkenntnisse, Entscheidungsfindung und Verantwortung als Anforderungskriterien definiert. Damit wird das Wesen von Arbeit aber nicht in Gänze erfasst“, kritisiert Jochmann-Döll. Zudem würden die Kriterien nicht nach Stufen definiert und nicht gewichtet. „Die Zuordnung von Tätigkeiten zu den Entgeltgruppen wirkt intransparent“, moniert sie. Was etwa „erhöhte“ von „besonderen“ Anforderungen unterscheide, werde nicht klar. Zudem wirken die Tätigkeitsbezeichnungen teilweise überaltet. Hier stellt sich die Frage, wie in den Betrieben modernere Tätigkeitsprofile welchen Entgeltgruppen zugeordnet werden (Stichworte: Digitalisierung, FinTechs etc.).

Ein komplexes Regelungsfeld: Betriebliche Prüfverfahren   

In meinem Beitrag im Personalmagazin (10/2017) geht es vor allem um die Frage, was das EntgTranspG unter einem betrieblichen Prüfverfahren versteht und welche dafür geeignet sind.

Bis zuletzt hatte der Bundesrat bemängelt, dass in dem Gesetz die ursprünglich „vorgesehene verpflichtende Durchführung betrieblicher Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit“ durch eine „bloße Aufforderung“ an Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten ersetzt worden ist.

Damit hänge nun die Bekämpfung der Entgeltlücke allein vom Auskunftsverlangen der Frauen sowie deren Bereitschaft ab, gegebenenfalls weitere Schritte gegen den eigenen Arbeitgeber einzuleiten, so die Kritik. Gefallen ist auch die noch zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses vorgesehene Regelung, dass für die betriebliche Prüfung ausschließlich „zertifizierte“ Verfahren verwendet werden dürfen und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) über eine solche Zertifizierung entscheidet.

Jetzt dürfte sich angesichts der Paragraphen 17 und 18 EntgTranspG so mancher Entgeltexperte fragen, was ein geeignetes Prüfverfahren im Sinne des Gesetzes sein könnte. Schließlich ist der Arbeitgeber diesbezüglich „frei in der Wahl von Analysemethoden“ (§ 18). Zum Knobeln regt auch die Formulierung an, dass Gegenstand der Analyse mittels eines Prüfverfahrens nicht nur die betrieblichen Entgeltregelungen und Entgeltbestandteile sind, sondern auch die diesen zugrunde liegenden Arbeitsbewertungsverfahren.

Was sind geschlechtsneutrale Arbeitsbewertungsverfahren?

Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums teilte mir auf Nachfrage mit: „Arbeitsbewertungsverfahren und betriebliche Prüfverfahren sind zwei Seiten einer Medaille.“ Im Gegensatz zu einem Arbeitsbewertungsverfahren überprüfe ein Prüfverfahren, „ob das angewandte Arbeitsbewertungsverfahren Benachteiligungspotenziale enthält und ob diese Potenziale auch ausgenutzt werden.“ Was „geschlechtsneutrale“ Arbeitsbewertungsverfahren sind beziehungsweise wie diese im Hinblick auf ihre Neutralität überprüft werden können, dazu hat das Bundesfamilienministerium bereits 2014 in einer Broschüre einen Fragenkatalog zusammengestellt, der sich auch auf Regelungen in Tarifverträgen erstreckt.

Das Prüfverfahren „eg-check“

War noch am Anfang des Entstehungsprozesses des EntgTranspG die Rede davon, dass in diesem und speziell im Hinblick auf betriebliche Prüfverfahren der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) eine prominente Rolle zukommen sollte, so ist deren Positionierung nun in Teil B des Gesetzentwurfs („Besonderer Teil“) verschoben worden.

Danach sind das von der ADS geförderte Instrument „eg-check“, aber auch der ILO-Leitfaden „Gendergerechtigkeit stärken – Entgeltgleichheit sicherstellen“, aus Sicht des Bundesfamilienministeriums Beispiele für betriebliche Prüfverfahren, die dafür „nachweislich geeignet“ sind. Was beinhaltet das Verfahren „eg-check“, das in Deutschland aufgrund seiner ADS-Förderung wesentlich verbreiteter sein dürfte als der ILO-Leitfaden?

Das Verfahren ermöglicht die Überprüfung folgender fünf Entgeltbestandteile anhand von Statistiken, Paarvergleichen und  Regelungschecks.:

  • Anforderungsbezogenes Grundentgelt
  • Stufensteigerung beim Grundentgelt
  • Leistungsvergütung
  • Überstundenvergütung
  • Erschwerniszuschläge

Das Instrument basiert nach Angaben seiner Entwicklerinnen (Dr. Tondorf / Dr. Jochmann-Döll) auf „Forschungsbefunden zur geschlechtsunabhängigen Arbeitsbewertung“ und auf geltendem Recht. Das Instrument, das gilt immer wieder zu betonen, betrachtet den Gender Pay Gap aus einer rechtlichen Perspektive und unterscheidet sich damit fundamental von ökonomisch-statistischen Verfahren (wie bspw. Destatis, IW Köln, LogibD).

„eg-check“ unterscheidet folgende tätigkeitsbezogenen Anforderungsbereiche, die jeweils nach unterschiedlichen (Anforderungs-) Kriterien unterteilt sind:

  • Wissen und Können
  • psycho-soziale Anforderungen
  • Verantwortung
  • physische Anforderungen

 

Reinhard K. Sprenger zu „Transformationale Führung“: Unabdingbar dafür ist „Vertrauen“

Wesentliche Aspekte von Transformation und Führung im Zeichen permanenten Wandels greifen Walter Jochmann (Geschäftsführer der Kienbaum Consultants International), Professor Ingo Böckenholt (Präsident der International School of Management) und Stefan Diestel (Professor für Psychology & Management an der International School of Management) als Herausgeber in dem im Springer-Verlag erschienenen Buch „HR-Exzellenz“ auf.

Hervor sticht in dem Herausgeberwerk allerdings Reinhard K. Sprenger, der zum Thema „Transformationale Führung“ schreibt. Sprenger löst sich von einem engen Verständnis des transformationalen Führungsansatzes im Sinne von Bass und dessen Weiterentwicklung. Sprenger zieht den Bogen weiter.

Unternehmen, die sich transformieren wollen, müssen ihren Mitarbeitern vertrauen

Er gibt Antworten auf die Frage, für was Führung heute überhaupt noch notwendig ist und warum Führung jenseits von Routinen und Gewohntem mehr denn je der Stellhebel für Unternehmenserfolg ist. Sprenger zeigt, wie Unternehmen sich gestützt auf ein modernes Führungsverständnis erfolgreich transformieren können und was dafür unabdingbar ist: Vertrauen. „Ein Unternehmen wird niemals das Vertrauen seiner Mitarbeiter (wieder) gewinnen, wenn es nicht überzeugend demonstriert, dass es sich um die Menschen im Unternehmen sorgt“, schreibt er.

Führung ist institutionell zu verstehen und nicht personell

Markant betont Sprenger einmal mehr, dass Führung keine Angelegenheit von einzelnen Personen sein darf, sondern institutionell zu verstehen ist und innerhalb eines gesetzten Rahmens stattfinden und sich weiterentwickeln muss. Sprenger erteilt personalisierten Führungsansätzen eine Absage.

 

 

Abschied von „One Size Fits All“ bei der variablen Entgeltgestaltung

Die leistungsorientierte Vergütung und Bewertung der Performance der Mitarbeiter hat sich für HR zu einer gestalterischen Herausforderung erster Güte entwickelt. Jahrzehntelang schien unbestritten, dass individuelle Vergütungskomponenten und komplex ausgestaltete Performance Management-Systeme in der Lage sind, den Leistungsbeitrag eines Mitarbeiters differenziert zu messen, zu belohnen und diesen zu noch besseren Leistungen anzuspornen. Inzwischen ist diesbezüglich Ernüchterung eingekehrt – und teilweise eine radikale Wende eingeleitet worden.

Die Deutsche Bahn AG nimmt im „Systemverbund Bahn“ ab 2017 ganz Abstand davon, für ihre über 5 000 leitenden Angestellten und außertariflichen Arbeitnehmer deren individuelle Zielerreichung zur Bemessung ihrer variablen Vergütung heranzuziehen. „Die persönlichen Ziele zahlten vielfach nicht auf die des Konzerns ein und verbesserten nicht die übergreifende Lösungsfindung“, konstatiert Lars Hünninghausen, Leiter Grundsätze Vergütung, Nebenleistungen und Arbeitszeit bei der Deutsche Bahn. Zudem habe sich bei der parallel dazu bewerteten Performance gezeigt, dass eine hohe Zielerreichung nicht zwangsläufig mit sehr guter Leistung einhergeht.

Individuelle Zielerreichung heißt nicht automatisch, eine gute Leistung abgeliefert zu haben

Nun gilt im Systemverbund der Bahn, dass 30 Prozent der variablen Vergütung durch den Erfolg des Konzerns und 70 Prozent durch den Geschäftserfolg des Systemverbunds bestimmt werden. Hinzu kommt ein Nachhaltigkeitsfaktor. Maßgeblich für die Erfolgsmessung sind sechs Kennzahlen, die die Ziele von „Zukunft Bahn“ widerspiegeln. „Wir setzen auf den Erfolg gemeinsamer, bereichsübergreifender Arbeit“, sagt Hünninghausen. Die persönliche Leistung spiele bei der Vergütung nunmehr dann eine Rolle, wenn es um die Erhöhung des Grundgehalts gehe. „Wir haben das Performance-Management aufgewertet, indem wir es systematisch mit der Grundgehaltsrunde verbunden haben.“

Schlechte Erfahrungen mit der Verknüpfung individueller Ziele und variabler Vergütung im Sinne mangelnder Korrelation und Volatilität haben auch andere Unternehmen gemacht. Die Konsequenzen, die HR daraus abgeleitet hat, sind indes sehr unterschiedlich und zeigen: Die Bandbreite der Neuregelungen, die immer stärker kulturelle Aspekte der Organisation und der Förderung von Leistung, Innovation und Zusammenarbeit widerspiegeln, ist enorm.

Bosch: Abbildung von Leistung beim Grundgehalt

Bei Bosch werden die außertariflichen Fach- und Führungskräfte bis hinein in den Vertrieb, der vielfach als prädestiniert für eine an persönlichen Ergebnissen orientierte Vergütung gilt, ab 2016 allein nach Bereichs- und Unternehmenszielen variabel entgolten. Ihre persönliche Leistung soll beim Grundgehalt differenziert abgebildet werden. Zentrales Element bilden dabei „Validierungsmeetings“.

„Vom Unternehmenserfolg abhängige Boni wirken zwar weniger direkt als unmittelbar von der Leistung des Einzelnen abhängige, aber auch vom Unternehmenserfolg abhängige Boni werden als fair wahrgenommen und motivieren“, gibt Torsten Biemann, Inhaber des Lehrstuhls für ABWL, Personalmanagement und Führung der Universität Mannheim, einen Einblick in den Stand der Forschung.

Neuere Studien bestätigten, dass variable Vergütung einen positiven Effekt auf Leistung habe. Dies treffe auch auf „merit pay“ (leistungsbezogene Grundvergütung) zu. Letztendlich sei die Form der Koppelung von Leistung und Vergütung auch eine Frage der Kultur und nicht zuletzt der Möglichkeit, Leistung messen zu können. „Aber auch die intrinsische Motivation der Mitarbeiter kann bewusst beeinflusst werden“, regt Biemann an.

Bahn contra SAP: Wie wichtig sind Performance-Ratings?

Beim Performance-Management bei der Deutschen Bahn werden die Führungskräfte über eine Managementkonferenz fünf Performance-Levels zugeordnet. Diese Zuordnung bestimmt die Erhöhung der Grundgehälter, und zwar auf Basis einer Performance-Merit-Matrix und des vorgegebenen Budgets. Die individuelle Gehaltsentwicklung erfolgt somit ausschließlich über die persönliche Leistung. „Auch innerhalb der Performance-Levels kann noch differenziert werden“, betont Vergütungsexperte Hünninghausen.

Bei der Bewertung auf „Forced Ranking“ oder „Forced Distribution“ zurückzugreifen, will die Bahn zunächst nicht. „Das ist eine sehr harte Intervention. Es ist äußerst fraglich zu sagen, ein bestimmter Anteil der Mitarbeiter sei per se `Schlechtleister`“, erklärt Hünninghausen. Und ist stolz darauf, im Systemverbund die Themen (Grund-) Gehalt und Performance stärker miteinander in Verbindung gebracht zu haben. „Wir befürchten nicht wie andere, dass uns die Performance-Bewertung entgleitet und zu einem Vergütungsthema mutiert.“

Anderer Auffassung ist Dr. Gabriel Wiskemann, Vice President Global Total Rewards bei SAP. „Performance Management ist kein Vergütungsmanagement“, sagt er. In der Tendenz würden Leistungsbeurteilungen, wenn sie unmittelbar vergütungsrelevant seien, zu gutwillig ausfallen. Häufig verordnete „Gegenmittel“ – wie strikte Vorgaben von (Normal-) Verteilungsspielräumen oder das Bilden von Rangreihen – konterkarierten sogar die Ziele leistungsbezogener Vergütung. „Die Gegenmittel bestrafen tatsächliche Top-Leister, wenn sich in einem Team überdurchschnittlich viele Mitarbeiter mit herausragenden Leistungen befinden“, sagt der SAP-Vice President.

Über Leistung sollte permanent gesprochen werden 

In der Softwareschmiede wurde 2013 das Performance Rating von der kurzfristigen variablen Vergütung abgekoppelt und in 2016 weltweit für zunächst etwa 8 000 Mitarbeiter ganz abgeschafft. „Kernpunkt des neu gestalteten Performance Managements ist der kontinuierliche Dialog zwischen Mitarbeiter und Führungskraft zu Leistungszielen und zur Verbesserung von Leistung“, sagt Wiskemann. Dieser Dialog bilde die Basis für Grundgehaltsentscheidungen. In 2017 erfolgt nun die komplette Abschaffung des Performance Ratings.

„Die Führungskräfte können sich nicht mehr hinter einer Merit-Matrix verstecken. Sie erhalten die volle Diskretion, es gibt keine Verteilungsnorm“, erklärt der SAP-Vergütungsexperte. Leistungsträger zu bestimmen, sei keine Frage formaler Ratings oder Rankings. Neben dem kontinuierlichen Dialog dienen als Leitplanken der Gehaltsentscheidung Guidelines, die relative Lage der Mitarbeiter im Gehaltsband, das jeweils zur Verfügung stehende Budget und das Vier-Augen-Prinzip, wonach der jeweils nächsthöhere Vorgesetzte die Entscheidung überprüft.

SAP hat aber nicht allein mit der Abschaffung des Performance Ratings auf sich aufmerksam gemacht. Unter anderem Entwicklern und Controllern und ihren Führungskräften wird in Deutschland im Rahmen des „Teamplanmodells“ angeboten, nicht mehr individuell (Zielbonus), sondern anhand einer unternehmensbezogenen Erfolgsbeteiligungskomponente variabel entgolten zu werden.

95 Prozent der für das „Teamplanmodell“ in Frage kommenden Mitarbeiter haben sich für dieses anstelle des individuellen Bonusmodells entschieden. Daneben kann eine Führungskraft die Mitarbeiter über das „Spot Bonus-Programm” variabel vergüten. Für „außerordentliches Engagement“ und „hervorragende Arbeitsergebnisse“ kann ein Mitarbeiter zeitnah zwischen 500 Euro und 6 000 Euro erhalten.

Der Weg von SAP ist „radikal“

Für Birgit Horak, Vorstand der Beratungsgesellschaft Lurse AG, ist der Weg von SAP radikal. „Weil den Führungskräften hohe Freiheitsgrade bei Vergütungsentscheidungen eingeräumt werden“, sagt Horak. Derzeit werde vielen Unternehmen bewusst, dass ihre teils komplex ausgestalteten Systeme mit im Laufe des Jahres obsolet gewordenen Zielvereinbarungen, Matrixen, Punkteschemen, Gewichtungen etc. entweder am Ende doch nicht variabel oder zu aufwändig in der Umsetzung seien. „Wenn es um die Vergütung geht, menschelt es“, sagt Horak.

Hinzu komme grundlegend: „Finanzielle Anreize sind nicht wirklich starke Motivatoren. Insbesondere eine innovative Belegschaft kann damit nicht abgeholt werden. Finanzielle Anreize können die intrinsische Motivation sogar zerstören“, meint Horak. Wenn Mitarbeiter danach gefragt würden, wofür sie sich wirklich engagierten, kämen als Antworten Anerkennung, Wertschätzung, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten.

Leistung soll sich lohnen, aber ebenso wichtig sind Entwicklungsmöglichkeiten und spannende Lernfelder

Gleichwohl ist Horak überzeugt, dass Top-Leister im Rahmen von Gehaltsentscheidungen steuernden Budgets adäquat vergütet und für ihre Leistungen belohnt werden sollten; bei der Grundvergütung, variabel und / oder über Spot Boni. Aber immer passend zu einem insgesamt in der Belegschaft akzeptierten Gesamtgefüge. Verabschiede sich ein Unternehmen von der an individueller Leistung orientierten variablen Vergütung, sei zudem die Frage der Differenzierung nur verschoben. „Aber viel wichtiger ist, Top-Leister zu entwickeln und ihnen spannende Lernfelder anzubieten“, sagt Horak.

Mitarbeiter wollen differenziert behandelt werden, auch bei der Vergütung. Nur 35 Prozent der Deutschen hält einer Analyse von Korn Ferry zufolge ihre Bezahlung für fair. Die meisten kritisieren, diese sei nicht leistungsgerecht. Ähnlich eine Untersuchung von Ernst & Young: Danach befürworten drei von vier Beschäftigten die leistungsabhängige Bezahlung.

Führung sollte nicht als Vergütungsmathematik (miss-)verstanden werden

Das sieht auch Horak so. Entscheidend sei indes, wie „filigran“ und komplex Performance gemessen werden müsse. „Für mich stellt sich die Frage, welchen Nutzen es hat, bei denjenigen Mitarbeitern, die einen ordentlichen Job gemacht haben, noch zwischen 100 und 103 Prozent bei der Leistung zu unterscheiden“, sagt Horak. Der Aufwand dafür sei hoch, die Motivationswirkung vermutlich gering. Führungskräfte seien auch ohne strenge Mathematik in der Lage, die Leistung ihrer Mitarbeiter zu bewerten; gesamthaft und auf der Basis weniger dafür notwendiger Messgrößen.

Welchen Stellenwert die variable Vergütung habe, sei eine Frage der Reife der Organisation. „Wenn ein Unternehmen elaborierte Performance-Gespräche noch nicht implementiert hat, können Boni dazu dienen, die Bedeutung von Leistung hervorzuheben“, sagt Horak. Eine pauschale Aussage zu treffen, Boni seien gut oder schlecht, sei also nicht möglich. Zu einer Hochleistungskultur gehöre allerdings, Gespräche über Leistung zu führen, diese zu fördern und als Führungskraft dafür Vorbild zu sein. Leider würden immer noch viele meinen, mit Geld könne man wirksam führen.

„Andere belohnen beziehungsweise bestrafen zu können, sind Bestandteile von Macht in Unternehmen“, sagt Dr. Prisca Brosi vom Lehrstuhl für Strategie und Organisation der TU München. Sei die Machtdistanz gering, könne es Führungskräften schwer fallen, Leistungsbeiträge ihrer Mitarbeiter individuell zu differenzieren. Entsprechende Instrumente könnten dann „als unpassend“ angesehen werden.

Auch der ERA-Tarifvertrag stöß an Grenzen: Differenziert beurteilt wird hier nicht

Dies bestätigen Erfahrungen des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, in dessen Gebiet seit 2003 der ERA-Tarifvertrag gilt. Dieser sieht vor, dass im Durchschnitt 15 Prozent der Grundentgeltsumme als Leistungsentgelt ausgezahlt werden können. Das jeweilige Leistungsergebnis wird anhand von Kennzahlen, Zielvereinbarungen und Beurteilungen ermittelt.

„Am weitesten verbreitet, in der Praxis aber häufig problematisch, sind Beurteilungen“, sagt Gabriel Berger, Geschäftsführer Tarifpolitik und Tarifrecht bei Südwestmetall. Die Erwartung, das Leistungsentgelt werde in der vollen Bandbreite zwischen null und 30 Prozent angesetzt, habe sich nicht erfüllt. „Es gibt faktisch in vielen Firmen nur relativ wenig Differenzierung“, moniert Berger. Maßgeblich dafür sind nach Ansicht des Südwestmetall-Geschäftsführers mehrere Faktoren:

  1. Das Leistungsentgelt werde nicht einmalig am Ende eines Beurteilungszeitraums ausgezahlt, sondern monatlich. Bekomme ein Mitarbeiter im darauffolgenden Jahr beim laufenden Monatsentgelt weniger als zuvor, wirke sich dies nachteiliger auf die Motivation aus als schwankende Einmalzahlungen, die nur einmal jährlich ausgezahlt würden.
  2. Den Führungskräften fehle bei einer Führungsspanne von teilweise bis zu 40 oder 50 Mitarbeitern schlichtweg die Zeit, um valide Argumente für deren differenzierte Leistungsbeurteilung zusammenzutragen.
  3. Die Rechtsprechung habe Kriterien benannt, die dem Arbeitgeber die Durchsetzung unterdurchschnittlicher Beurteilungen extrem erschwere.
  4. Führungskraft und Mitarbeiter würden sich gerade in ländlicheren Strukturen in außerberuflichen Kontexten begegnen. Persönliche Kontakte erschwerten es aber, mögliche negative Veränderungen im Leistungsverhalten durchzusetzen.

Grund genug, die variable Vergütung ganz in Frage zu stellen? Nein, meint Berger: „Ich halte Leistungsbeurteilungen als Grundlage für differenzierte Leistungsentgelte grundsätzlich für ein sinnvolles Instrument“. Wenn die Rahmenbedingungen in den Betrieben andere wären, könnten diese ihre Wirkung entfalten.

Die Wirkung variabler Vergütung: Es fehlt nach wie vor an Daten aus der Praxis

Dass finanzielle Anreize die Motivation erhöhen, davon ist auch Brosi überzeugt. Gleichermaßen könne zwar ebenso Lob motivieren, dieses werde oftmals aber weniger als ein Instrument von Personalarbeit betrachtet, das gleichermaßen auf alle Führungskräfte ausgerollt werden könne. „Meta-Analysen zeigen, dass finanzielle Anreize in Gestalt variabler Vergütungskomponenten mittlere bis hohe Effektstärken haben“, sagt Brosi. Sie könnten unter bestimmten Bedingungen auch positiv auf Kreativität wirken. Damit finanzielle Anreize in gewünschter Weise wirkten, gelte generell, dass die Aufgabe des Mitarbeiters diesem ermöglichen müsse, Einfluss auf die Ergebnisse auszuüben, und der Leistungsbeitrag gemessen und individuell zugerechnet werden könne.

Dies scheint in einer Arbeitswelt 4.0, in der immer stärker Innovationen, Kreativität und die Zusammenarbeit in Teams und über Bereichsgrenzen hinweg eine Rolle spielen, zunehmend schwieriger zu werden. Hinzu kommt, dass die Skepsis gegenüber der individuellen variablen Vergütung auch aus wissenschaftlicher Sicht verständlich ist. „Viele der Wirkungen sind im Labor gemessen worden. Es fehlt an Daten zur Wirkung finanzieller Anreize, die von den Unternehmen selbst kommen“, moniert Brosi.

Teamorientierte Leistungsanreize: Jetzt wird`s richtig kompliziert

Die Wissenschaftlerin wirbt dafür, sich an der auch in Deutschland von ihr und Professor Jason D. Shaw (The Hong Kong Polytechnic University) durchgeführten Studie zur Wirkung von Gehaltserhöhungen beziehungsweise Boni zu beteiligen. Die Studie will herausfinden, ab und bis zu welcher Höhe leistungsbezogene Anreize im Hinblick auf Gehalts- und Arbeitszufriedenheit, Selbstwertgefühl und Engagement wirken. „Wir wollen am Ende Führungskräften Informationen an die Hand geben, wie stark sie bei Gehaltsentscheidungen differenzieren sollten“, erklärt Brosi.

Mehr Daten zu haben, um zu mehr Evidenz zu gelangen, gilt auch für teamorientierte Anreize. Brosi: „Wenn Meta-Analysen zu Teamanreizen auf 40 Einzelstudien beruhen, dann ist das nicht viel.“ Gerade Teamanreize zeigen, wie diffizil die Materie ist und in der Praxis zu komplizierten Systemen führen können. Team-Rewards, so Brosi, müssten sowohl die Kooperation fördern als auch individuelle Leistungsbeiträge anerkennen und zuordnen, um Trittbrettfahrerverhalten auszuschließen. „Das erhöht die Komplexität“, sagt Brosi.

Von der Wissenschaft könne nicht erwartet werden, dass diese einem Unternehmen sage, wie deren Vergütungssystem ausgestaltet sein solle, meint Frank Gierschmann, Partner bei der hkp /// group. Er rät, die Bandbreite an Instrumenten zur Motivationsförderung bis hin zu Wertschätzung, Feedbacks, Entwicklungsmaßnahmen und Beförderungen zu nutzen. Gierschmann: „Nur über monetäre Anreize anzuspornen, kann zur Verdrängung intrinsischer Motivation führen“.

Alle ziehen an einem Strang, aber nur wenige sollen per Definition Top-Leister sein, das passt nicht zusammen

Die Verbindung von Leistung und variabler Vergütung schaffe „Spannung“, aber ohne zu differenzieren, sei HR-Arbeit nicht möglich. Ob das „Modell“ Bosch Schule mache, werde sich noch weisen. „Wenn primär über das Grundgehalt differenziert entgolten wird, bekommt man einen hohen Sockel bei der Vergütung, von dem man nicht so leicht wieder herunter kommt. Man gibt dann ein stückweit die von Performance abhängige ´Atmung´ auf, die eine variable Vergütung ermöglicht“, sagt Gierschmann.

Die Unternehmen müssten sich auf der anderen Seite aber auch Folgendes bewusst machen: Je nachdem wie stark die Leistungsdifferenzierung betont werde, bekomme die Organisationskultur insgesamt ein ausgesprochen kompetitives Element. „Wenn per se nur ein bestimmter Anteil der Mitarbeiter aufgrund von Verteilungsvorgaben als leistungsstark angesehen wird und als Ausgleich für kompetitives Verhalten Teamziele definiert und die Zusammenarbeit aller betont werden, dann ist das ein Widerspruch“, sagt Gierschmann.