„Zwickmühlen“ in der Führungsarbeit entkommen

Mit „Das Dilemma mit den Dilemmas“ (2018, Metropolitan Verlag) ist Christian Lebrenz, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Koblenz, ein Werk gelungen, das nicht nur Spaß macht zu lesen, es erweitert den eigenen Horizont. Dilemmas seien nicht „Fehler im System, sondern ein ganz normaler und zentraler Bestandteil“ von Managen und beim Führen, meint Lebrenz. Er zeigt, wie man diesen „Zwickmühlen“ entkommen kann.  

Im ersten Kapitel definiert Lebrenz, was ein Problem zu einem Dilemma macht und was ein Dilemma von anderen Entscheidungssituationen unterscheidet. In den Kapiteln 2, 3 und 4 geht er dann der Frage nach, woran ein Dilemma zu erkennen ist, warum es in Organisationen Dilemmas gibt – ja geben muss – und auf welchen Ebenen Dilemmas auftauchen („Management-Dilemmas“, „Führungsdilemmas“).

Im zweiten Teil (Kapitel 5 bis 8) stellt Lebrenz aus seiner Sicht wichtige Dilemmas näher vor, bevor er im dritten Teil (Kapitel 9 bis 12) vier der „wichtigsten“ Ansätze (Werkzeuge) vorstellt, die einen „intelligenten Umgang mit Dilemmas ermöglichen“.

Dabei greift Lebrenz, der unter anderem Japanologie studiert hat, auch auf Weisheiten aus dem fernöstlichen Kulturkreis zurück, um „gegensätzliche Pole“ auflösen zu können. Der Frage, wann welches Tool zum Einsatz kommen sollte, widmet sich Lebrenz abschließend. Mit seinem Buch können aus ungeliebten „Zwickmühlen“ spannende Entscheidungssituationen mit bisher unbekanntem Ausgang werden.

Dabei bemüht Lebrenz mit „Sowohl-als-auch-Entscheidungen“ explizit auch fernöstliche Denkweisen. Die Variante, ein Dilemma sogar auszusitzen, dürfte so manchen Manager besonders freuen. Sie machten sich oft unnötig Druck, ist Lebrenz überzeugt.

Interview mit Professor Lebrenz (Personalmagazin, Heft 10 / 2019)

Zu alldem und auch zu ganz privaten Zwickmühlen habe ich Professor Lebrenz in einem Interview für das Personalmagazin befragt. Es hat großen Spaß gemacht, weil Lebrenz Dinge anspricht und Lösungen anbietet, die eher selten thematisiert werden.

 

 

Die digitale Organisation muss demokratisch sein und die Gesundheit fördern

 

Mit den „Big Five Erfolgsfaktoren“ für den Switch zur digitalen Organisation legen Isabell M. Welpe, Prisca Brosi (beide TU München) und Tanja Schwarzmüller die Messlatte für die Bewertung ihres Buchs hoch. Gilt doch das Fünf-Faktoren-Modell (Big Five) als Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung.

Nach Welpe, Brosi und Schwarzmüller können Unternehmen den Übergang zur digitalen Organisation erfolgreich gestalten, wenn in ihnen

(1) der Umgang mit der VUCA-Welt zur Kernkompetenz wird,

(2) durch unterschiedliche Arten von Teamarbeit Disruptionen gefördert werden,

(3) sie demokratischer werden,

(4) die Bedeutung von internen wie externen Beziehungen erkannt und gefördert wird sowie

(5) das Thema Gesundheit stärker in den Fokus rückt.

Evidenzbasierte Handlungsempfehlngen

Diese Erfolgsfaktoren, die in dem Buch „Digital Work Design. Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter“ (2018, Campus) hervorragend lesbar in weitere Teilaspekte aufgegliedert werden, seien aus „der aktuellen wissenschaftlichen Literatur“ abgeleitet.

Entsprechende Handlungsempfehlungen für Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisationen seien „evidenzbasiert“, so die Autorinnen zur ihrem Anspruch. Am Ende legen diese einen „10-Punkte-Plan“ vor, um mit diesem bei der Umsetzung der fünf Erfolgsfaktoren zu unterstützen.

Zentrale Dimensionen bei der Demokratisierung (3) der Unternehmen sind „Empowerment“ und „Partizipation“.

Dazu Tanja Schwarzmüller im Gespräch (siehe Rainer Spies, Mitbestimmung 4.0 – Entscheidungen beschleunigen, Mitarbeiter beteiligen, in „Personalführung“, Heft 10 / 2018):

„Mitarbeiter müssen in ihrem Aufgabenbereich mehr Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, sie müssen stärker als bislang in Entscheidungsprozesse im Unternehmen einbezogen werden und es dürfen keine Informationsmonopole mehr bestehen“, sagt Schwarzmüller.

„Autonomie“, „Partizipation“ und „Transparenz“ müssten strukturell ermöglicht werden und die Mitarbeiter müssten sich „ermächtigt fühlen“, tatsächlich auch mitzuwirken. Warum?

„Durch die mit Digitalisierung einhergehende Komplexitätserhöhung wird es für Führungskräfte zunehmend schwieriger, ihre Mitarbeitenden im Detail anzuleiten. Gleichzeitig müssen Unternehmen sehr schnell auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren“, sagt Schwarzmüller. Das funktioniere besser, wenn Entscheidungen dezentral getroffen würden.

Ist Partizipation mehr als Mitbestimmung? 

Ihr Verständnis von interner Demokratie sei „umfassender“ als das im Rahmen der formellen Mitbestimmung, meint Schwarzmüller. Diese Auffassung lädt zur Kritik ein.

„Aus der rechtspolitischen Perspektive besteht die Notwendigkeit, unabhängig vom ´good will´ einer effizienzorientierten oder fürsorglichen Führungsebene Teilhabe und Mitgestaltung der Beschäftigten vorzuhalten“, springt Professor Richard Giesen, Direktor am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der LMU München, für die institutionalisierte Mitbestimmung in die Bresche (Spies, 2018).

 

People Analytics – in aller Munde, kaum praxiserprobt

In der HR-Community ist derzeit ein Thema in aller Munde: People Analytics beziehungsweise HR Analytics. Dazu haben Reindl / Krügl ein lesenswertes Buch vorgelegt.  In dem fehlen allerdings elaborierte Anwenderberichte aus der HR-Praxis. Das ist kein Wunder, noch fehlen in Deutschland die Unternehmen, in deren HR-Abteilungen flächendeckend mit HR Analytics gearbeitet wird.   

Das Thema People Analytics berühre über die grundlegende Frage hinaus, ob deren Nutzung im Einzelnen „wirklich ein guter und gangbarer Weg ist“, auch ethische Gesichtspunkte und sei nicht zuletzt eine Frage der „Haltung“, betonen die Organisationsberaterin Dr. Cornelia Reindl und Stefanie Krügl, Expertin für agile Organisationsentwicklung und People Analytics, in ihrem Buch „People Analytics in der Praxis. Mit Datenanalyse zu besseren Entscheidungen im Personalmanagement“ (2017, Haufe-Lexware).

Beschäftigte haben ein „beklemmendes Gefühl“

Über die Verwunderung der Autorinnen, dass so mancher Beschäftigte privat ohne größere Bedenken persönliche Daten im Netz zur Verfügung stelle, bei People Analytics im Arbeitsumfeld aber ein „beklemmendes Gefühl in der Magengegend“ habe, verwundert man sich als Leser indes selbst. Schließlich können aus dem Einsatz von People Analytics im betrieblichen Kontext erhebliche Konsequenzen für die Arbeitnehmer abgeleitet werden.

Das Buch von Reindl und Krügl, das mit Gastbeiträgen zu speziellen thematischen Aspekten aufwartet, schlägt einen weiten Bogen von der „kleinen Geschichte mit Daten im Personalmanagement“ über die bisherige Arbeit mit Daten im klassischen Personalcontrolling bis hin zu praktischen Anwendungsfällen von People Analytics. Dass diese Fallbeschreibungen vergleichsweise wenige Fälle umfassen und kurz ausfallen, zeigt: People Analytics ist in den HR-Abteilungen deutscher Unternehmen noch nicht angekommen.

„People-Analytics-Prozessmodell (PAP)“

Eingerahmt werden die genannten Kapitel durch den Teil „People Analytics in der Praxis“. Hier gehen Reindl und Krügl beziehungsweise die Gastautoren noch einmal auf den sehr relevanten Unterschied zwischen „Korrelation“ und „Kausalität“ ein und stellen den möglichen organisatorischen Rahmen für People Analytics-Projekte sowie ein „People-Analytics-Prozessmodell (PAP)“ vor. Dieses umfasst drei Schritte: „Qualitative Phase“, „Quantitative Phase“ und „Umsetzungsphase“.

In der ersten Phase geht es darum, die Problemstellung konkret zu definieren, umfassende (auch externe) Informationen dazu zu sammeln, um den „Gesamtzusammenhang“ zu verstehen, und die eigene Sichtweise auf das Thema zu definieren (Hypothesen bilden). In der zweiten Phase des PAP-Modells werden das Untersuchungsdesign entwickelt, die Datenbasis für die Analyse geschaffen und schließlich die Daten analysiert und interpretiert.

Das Herzstück: Dateninterpretation

„Das Herzstück der quantitativen Phase ist der Schritt der Dateninterpretation“, so die Autorinnen. Speziell dazu kann man sich für die Zukunft noch mehr Input und Hilfen von Experten für die Praxis wünschen, um die Zielsetzung von People Analytics am Ende auch einlösen zu können: Weniger Bauchgefühl als Entscheidungsgrundlage in HR.

 

 

 

Folgen der Automatisierung/Digitalisierung: Neue Kompetenzen aufbauen

Die Automatisierung betrifft jeden fünften Arbeitnehmer, zu diesem Ergebnis kommt The Boston Consulting Group (BCG) in ihrer Analyse „Schöne neue Arbeitswelt 4.0.?“. Diese empfiehlt: Übergreifende und zukünftig gefragte Kompetenzen jetzt in die Aus- und Weiterbildung integrieren.

Laut der Studie sind in Deutschland bis 2025 die Stellen von 7,7 Millionen Beschäftigten von Automatisierung betroffen. Dabei handelt es sich laut BCG keinesfalls nur um Geringqualifizierte: Mehr als 60 Prozent der von Automatisierung Betroffenen sind Fachkräfte, gleichzeitig wächst der Bedarf an Fachkräften. Diesen schätzt das Beratungsunternehmen auf rund sechs Millionen Arbeitskräfte (bis 2030).

Die Antwort auf diese Herausforderung sieht BCG vor allem in der Aus- und Weiterbildung. Grundlage der Weiterbildung müsse ein „neues Kompetenzmanagement“ sein, für das fünf Handlungsfelder definiert werden. The Boston Consulting Group empfiehlt unter anderem:

  • die Bildung von „übergreifenden Kompetenzen“ verstärkt in das duale Berufsausbildungssystem aufzunehmen,
  • „belastbare Prognosen“ zu entwickeln, damit die zukünftig gefragten Kompetenzprofile bereits heute in die Aus- und Weiterbildung integriert werden können, und
  • flächendeckend eine lebensbegleitende Berufsberatung auch für bereits Beschäftigte zu etablieren.

The Boston Consulting Group (2017): Schöne neue Arbeitswelt 4.0? Was wir tun müssen, damit uns nicht die Arbeit ausgeht, Düsseldorf

 

 

Reinhard K. Sprenger zu „Transformationale Führung“: Unabdingbar dafür ist „Vertrauen“

Wesentliche Aspekte von Transformation und Führung im Zeichen permanenten Wandels greifen Walter Jochmann (Geschäftsführer der Kienbaum Consultants International), Professor Ingo Böckenholt (Präsident der International School of Management) und Stefan Diestel (Professor für Psychology & Management an der International School of Management) als Herausgeber in dem im Springer-Verlag erschienenen Buch „HR-Exzellenz“ auf.

Hervor sticht in dem Herausgeberwerk allerdings Reinhard K. Sprenger, der zum Thema „Transformationale Führung“ schreibt. Sprenger löst sich von einem engen Verständnis des transformationalen Führungsansatzes im Sinne von Bass und dessen Weiterentwicklung. Sprenger zieht den Bogen weiter.

Unternehmen, die sich transformieren wollen, müssen ihren Mitarbeitern vertrauen

Er gibt Antworten auf die Frage, für was Führung heute überhaupt noch notwendig ist und warum Führung jenseits von Routinen und Gewohntem mehr denn je der Stellhebel für Unternehmenserfolg ist. Sprenger zeigt, wie Unternehmen sich gestützt auf ein modernes Führungsverständnis erfolgreich transformieren können und was dafür unabdingbar ist: Vertrauen. „Ein Unternehmen wird niemals das Vertrauen seiner Mitarbeiter (wieder) gewinnen, wenn es nicht überzeugend demonstriert, dass es sich um die Menschen im Unternehmen sorgt“, schreibt er.

Führung ist institutionell zu verstehen und nicht personell

Markant betont Sprenger einmal mehr, dass Führung keine Angelegenheit von einzelnen Personen sein darf, sondern institutionell zu verstehen ist und innerhalb eines gesetzten Rahmens stattfinden und sich weiterentwickeln muss. Sprenger erteilt personalisierten Führungsansätzen eine Absage.

 

 

Ökonomie contra Politik – Mutige Festschrift für Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn, der streitbare Ökonom und langjährige Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo Institut), ist in Rente gegangen. Für ihn haben sich Mitarbeiter, Kollegen, Politiker, Journalisten und andere Zeitzeugen die Mühe gemacht, eine lesenswerte Festschrift zusammenzutragen.

In der Festschrift wird das Wirken von „HWS“, wie der Name Hans-Werner Sinn von besonders engen Freunden abgekürzt wird, gewürdigt – und zwar durchaus kritisch. Dies ist für eine Festschrift mutig und macht sie dadurch zu einer lesenswerten. Dies aber auch, weil sie 25 Jahre kontroverse Debatten über die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarkt-, Europa- und zuletzt die Migrationspolitik in Deutschland nachzeichnet.

Hans-Werner Sinn hat in dieser Zeit, die von zum Teil weitreichenden Politikentscheidungen gekennzeichnet ist, wie kaum ein anderer Ökonom öffentlich für die aus seiner Sicht richtigen Weichenstellungen gefochten.

Einige Debatten hat er maßgeblich angestoßen und ein Bewusstsein für bis dato wenig bekannte Problemlagen geschaffen. Etwa für das Phänomen, dass große Exportüberschüsse mit einer hohen Arbeitslosigkeit einhergehen können („Basarökonomie“), und nicht zuletzt für die „Target-Falle“ im Zuge der Finanzkrise Griechenlands.

Kritik ist erlaubt

In manchem hat der Mahner Hans-Werner Sinn, der gerne als „Marktradikaler“ abgestempelt wurde, um sich nicht mit seinen vor allem für kurzfristig handelnde Politiker unliebsamen Befunden und Positionen auseinandersetzen zu müssen, Recht behalten. Mit einigen seiner Prognosen und Analysen aber auch nicht. Dafür zwei Beispiele aus der Festschrift:

1. Nach Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, ist der Mindestlohn nicht „des Teufels“ (so einst Hans-Werner Sinn). Vielmehr sei dieser in Deutschland weitgehend geräuschlos eingeführt worden und habe auch nicht zu massiven Beschäftigungsverlusten geführt.

2. Laut Klaus F. Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), sind in Europa „keine Anzeichen einer relevanten Wohlfahrtsmigration wissenschaftlich zu belegen“. Sinns Analyse, wonach vor allem Lohndifferenziale entscheidend für Migrationsentscheidungen seien, lasse „empirische und institutionelle Details“ vermissen.

Mehr Sinns erwünscht

Die Festschrift lehrt: Wer sich heute ökonomischen Sachverstand aneignen und in wirtschaftspoltischen Fragen fundiert mitreden möchte, der muss sich tief in die volkswirtschaftliche Materie einarbeiten. Zumal die Volkswirtschaftslehre im Zuge der Finanzkrise selbst in eine Krise geraten ist.

Sich bei der Meinungsbildung auf eine Schule oder die Ratschläge eines Ökonomen zu verlassen, genügt nicht. Auch nicht auf die von Hans-Werner Sinn, dessen öffentliches Engagement man sich von anderen Wissenschaftlern wünscht. Dafür sind die volkswirtschaftlichen Sachverhalte bis hin zu Fragen empirischer Evidenz zu komplex.

Gabriel Felbermayr, Meinhard Knoche und Ludger Wössmann (Hg.): Hans-Werner Sinn und 25 Jahre Deutsche Wirtschaftspolitik. Hanser, 2016.

Orte außergewöhnlicher Führung. Das Buch „Musterbrecher“ als DVD

In „Musterbrecher“ reisen Professor Hans A. Wüthrich (Lehrstuhlinhaber für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr München) sowie die Berater Dirk Osmetz und Stefan Kaduk an neun Orte, an denen „außergewöhnliche Führung“ stattfindet oder „zukunftsfähige Organisationen“ sich schon etabliert haben.

An diesen Orten brechen die Unternehmen – und eine Schule – mit gewohnten Mustern in Führung, Kommunikation, Organisationsgestaltung und Vergütung. Gerade deshalb scheinen sie erfolgreich zu sein. Beispiel COCOMIN AG: Deren Inhaber Andreas Glemser hat vor Jahren eine monatelange Auszeit genommen und dabei gelernt, dass er seinen Mitarbeitern voll und ganz vertrauen kann.

Diese haben während seiner Abwesenheit seine Aufgaben übernommen – und damit ungeahnte Freiräume für strategische Arbeiten des Inhabers nach seiner Rückkehr geschaffen. Was passiere, wenn Aufgaben abgegeben würden, könne man vorher nicht wissen, man müsse es ausprobieren, lautet die Botschaft von Andreas Glemser.

Führen ohne Fachlichkeit: Funktioniert besser als gedacht, wenn man vertraut

Um Vertrauen und die Fähigkeit, auf Ungewohntes adäquat zu reagieren, geht es auch beim Beispiel der Eidgenössischen Zollverwaltung. Im Vorfeld einer Reorganisation haben acht Führungskräfte der Zollverwaltung ihren Verantwortungsbereich verlassen und gelernt: sich von Fachlichkeit zu lösen, aus dem Bauch heraus zu führen, zu delegieren und den Mitarbeitern zu vertrauen. Das anfangs befürchtete Chaos stellte sich bei dem Perspektivenwechsel nicht ein und als Quintessenz bleibt aus Sicht der Führungskräfte, dass ein solcher Wechsel Bestandteil einer jeden Führungsbiografie sein sollte.

Beständige Zellteilung, um direkt miteinander kommunizieren zu können

Wo werden noch Muster gebrochen? Bei der W. L. Gore & Associates GmbH beispielweise. Dort sind die Mitarbeiter „Associates“ und können nur „Leader“ werden, wenn die Teams sie als solche akzeptieren und ihnen folgen. Was in diesem Kontext „Akzeptanz“ genau heißt, bleibt allerdings etwas vage. Ebenso, welche Rolle ein „Sponsor“ im Vergleich zu einem Leader hat. Einen Sponsor kann jeder Mitarbeiter frei ansprechen, damit dieser ihn bei seiner Entwicklung unterstützt.

Innovationsführer Gore, bei dem man Organigramme vergeblich sucht, leistet sich geradezu Verschwendung: Ab einer Größe von 150 bis 200 Associates werden immer wieder neue, eigenständige Organisationseinheiten („Zellen“) gegründet. Die Associates, die frei sind, jeder Idee nachzugehen und Initiativen zu gründen, müssten sich kennen und direkt miteinander kommunizieren können, so die Begründung. Und dass auf Konsens beruhende Entscheidungsprozesse länger dauern können als Direktiven, nimmt man bei Gore gerne in Kauf.

Musterbrecher versuchen, das Tun der anderen besser zu verstehen

„Für uns ist die Arbeit an Beziehungen das Zentrale“, antwortet Berater Stefan Kaduk auf die Frage, was das entscheidende Muster von Musterbrechern sei. Führen sei nichts anderes als das Gestalten von Beziehungen; und zwar ohne ein „künstliches Beziehungsmanagement“. Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel der Südostbayernbahn (SOB). Deren Sprecher der Geschäftsführung Christoph Kraller scheint so ein „Typ“ zu sein, dem es gelingt, ohne Managementallüren Beziehungen zu gestalten.

Einmal im Jahr gehen Christoph Kraller und die anderen SOB-Führungskräfte in die Züge der Bahn und fragen die Kunden nach ihren Sorgen und Wünschen. Ebenso sind sich Christoph Kraller und seine Führungskollegen nicht zu schade, Waggons selbst zu reinigen, um die Arbeitswelt der Mitarbeiter kennenzulernen. Musterbrecher seien bereit, das Tun der anderen emotional besser nachzuvollziehen, so die Off-Stimme der DVD-Produktion.

Sich als Chef daran gewöhnen, sich herauszuhalten

Wie wenig materielle Anreize den Ausschlag dafür geben, sich für ein Unternehmen zu engagieren, zeigt im Film das Beispiel der allsafe JUNGFALK GmbH & Co. KG. Hier wechselte ein Mitarbeiter angelockt durch sehr gute Verdienstmöglichkeiten in die nahgelegene Schweiz; und kehrte nach nur kurzer Zeit wieder zu allsafe JUNGFALK zurück. Ausschlaggebend dafür sei der durch wenig Hierarchie geprägte „eigene Geist“, der dort herrsche, so der Mitarbeiter. Detlef Lohmann, Geschäftsführer des Unternehmens, vergleicht dieses mit einem „Brummkreisel“, den die Mitarbeiter durch ihre Energie in Bewegung halten. Operativ hätten diese alle Freiheiten, selbst zu entscheiden. „Ich habe mir angewöhnt, mich herauszuhalten und Vertrauen zu entwickeln“, sagt Detlef Lohmann.

Wenn Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann müssen sie auch über ein Mehr an Informationen verfügen

Um dafür die Grundlage zu schaffen, legt allsafe JUNGFALK viele Zahlen offen. Wenn das Management über einen Informationsvorsprunge verfüge, warum sollten die Mitarbeiter, die demgegenüber nur ein allenfalls unvollständiges Bild hätten, bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen, kommentiert Berater Dirk Osmetz fragend das Beispiel allsafe JUNGFALK. Dort gilt die Devise, dass konstruktiv aufgearbeitete Fehler mehr Potenzial für Entwicklung in sich bergen, als ein System der strikten Fehlervermeidung. Außerdem wurden bei allsafe JUNGFALK zeitaufwendige Meetings abgeschafft. Die Mitarbeiter sollen sich permanent abstimmen. Dafür gefallen ist so manche Abteilungsgrenze – und aus Leitern wurden Experten oder Prozessverantwortliche.

Bewertung

Welche Erkenntnisse liefert der Film, indem weitere Unternehmen (Vollmer & Scheffczyk, Sparda-Bank München, RWD Schlatter) ihre Musterbrüche erläutern? Er zeigt, dass Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter zu haben, die Dinge so einfach wie möglich zu tun, permanent aufgabenorientiert und jenseits von Hierarchien und Abteilungsgrenzen zu kommunizieren sowie nicht nur im System, sondern am System zu arbeiten, sich lohnen.

Was fehlt in dem Film? Die individuelle „Pfadabhängigkeit“ für Musterbrüche und damit auch die Grenzen der Übertragbarkeit auf andere Unternehmen werden nicht immer deutlich. Hier fehlen an der einen oder anderen Stelle weitere Hinweise, aufgrund welcher Herausforderungen und Probleme im Einzelnen die eigenen Wege gewählt wurden.

Musterbrecher – Der Film, DVD zum Buch, Murmann, 2016

„Mad Business“ – Von rationaler Entscheidungsfindung keine Spur?

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Mit „Mad Business“ geben Joerg Bartussek und Oliver Weyergraf, die selbst als Manager in Großunternehmen gearbeitet haben, einen tiefen und zugleich verstörenden Einblick in die Realitäten von Unternehmen. Sie räumen vollends mit der Vorstellung auf, in diesen würden vorwiegend rationale Entscheidungen getroffen.

Paul Hecht berichtet als Protagonist des Buches, das eine Mischung aus Fiktion und Wahrheit ist, in seinem von Zynismus geprägten Wochenbericht vielmehr vom alltäglichen „Wahnsinn“, der in Großkonzernen herrscht. Der Wahnsinn („was wirklich abgeht“), das sind unter anderem persönliche Eitelkeiten sowie wirre und zum eigenen Kalkül am besten passende Zahlenspiele bis hin zu Tricksereien, mit denen schlussendlich handfeste Ziele definiert und Budgets geplant werden.

Eigennützliches Silodenken vs. Innovation und Kooperation

Der Wahnsinn sind Controller und Prozessgestalter (oder andere Disziplinen), die das Gespür für die Tätigkeiten und Rationalitäten fachfremder Kollegen schon verloren haben, geheime „U-Boot-Projekte“, mit denen der eigene Aufstieg besser gelingen kann, und bereichs- und landesegoistisches Silo-Denken. Dieses alles macht Innovationen und dem Wohl des Unternehmens dienliche Kooperationen den Garaus, so Paul Hecht in seinem Wochenbericht.

Paul Hecht ist ein fiktiver Top-Manager, der sich als Kronprinz des Landes-CEO wähnt, den internen Wertekatalog geflissentlich ignoriert und glaubt, die in seiner Organisation (aus seiner Sicht) bestehenden Macht- und Ränkespiele besser als andere zu beherrschen. Am Ende aber muss Paul Hecht das Unternehmen selbst verlassen. Waren andere noch cleverer als er oder verfügt das Unternehmen über genügend Widerstandskraft, sich gegen Typen wie Hecht erfolgreich zur Wehr zu setzen? Die Beantwortung dieser Frage bleibt offen.

Fiktive Realität

Allerdings muss Paul Hecht nicht ohne großzügige Abfindung gehen, verfügt er doch über brisante Informationen über den CEO. Alles nur Fiktion? Nein! Paul Hecht steht stellvertretend für drei Dutzend Top-Manager verschiedener Branchen, die die Autoren interviewt haben und deren ausgewählten Zitate das Buch begleiten und so aus der Fiktion Realität werden lassen.

Joerg Bartussek / Oliver Weyergraf: Mad Business. Was in den Führungsetagen der Konzerne wirklich abgeht. Campus, 2015

Nachtrag

„Ich habe einfach keine Lust mehr auf Spielchen. (…) Was ich erlebt habe? Politisches Durchschlängeln, Postengeschacher statt fachliches Arbeiten. Weiter kamen die Kofferträger und Ehrerbieter, nicht diejenigen, die Verantwortung für ihre Arbeit übernahmen. (…) Da wusste ich, dass ich nie wieder in Konzernen arbeiten möchte (…).“ (Winfried Wieland, Interim Manager, in: brand eins 02/16, S. 77)

 

 

 

Für Sie gelesen: „Das demokratische Unternehmen“ (Managementbuch 2015)

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Was ist, wenn die nächste Krise kommt? Das habe ich mich gefragt, nachdem ich „Das demokratische Unternehmen“ gelesen hatte. Das Buch beschäftigt sich mit den neuen Möglichkeiten der Partizipation und Mitbestimmung im Zuge der Digitalisierung.

„Das demokratische Unternehmen“, herausgegeben von Thomas Sattelberger, Professorin Isabell Welpe und Dr. Andreas Boes, ist zum Managementbuch des Jahres 2015 gekürt worden. Auch mein Fazit lautet: Es ist dringend empfohlen, dieses Buch zu lesen. Denn es greift in die aktuelle Diskussion über Partizipation und Mitbestimmung treffsicher ein und zeigt bis hin zu Modellen der finanziellen Beteiligung die ganze Bandbreite der Thematik auf, die mit einem Mehr an Freiraum für die Mitarbeiter verbunden sind.

Neuer sozialer Handlungsraum

Ob und wie die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen eröffnen, in der Praxis genutzt werden, wird maßgeblich davon abhängen, wie das Management und nicht zuletzt die Beschäftigten selbst den „neuen sozialen Handlungsraum“ (Boes) ausfüllen. Dies ist ein zentraler Schluss, den das Buch und vor allem ein Rückblick auf eine noch nicht allzu lang zurückliegende Phase deutscher Industrie- und New Economy-Geschichte nahelegen.

Was die Geschichte lehrt

Auf diese Phase geht der Jenaer Arbeitssoziologe Professor Dr. Klaus Dörre ein. Das Verdienst von Dörre besteht darin, die Debatte um Demokratisierung, Partizipation und mehr Teilhabe ermöglichende Arbeitskonzepte historisch und politisch einzuordnen. Der Soziologe weist darauf hin, dass bereits Anfang der 1990er Jahre im Zuge des Aufstiegs von IT- und Internetfirmen und vor dem Hintergrund neuer Produktionskonzepte in der Industrie über ein Mehr an Partizipation diskutiert und diese praktiziert wurde.

Und Dörre erklärt zugleich, warum viele dieser Ansätze gescheitert sind!

Chance nicht verspielen

„Diese Chance wurde weitgehend verspielt“, schreibt Dörre. In der Folge sei Partizipation von vielen Unternehmen nur noch dann gewährt worden, wenn diese sich für die Eigentümer und das zunehmend unter dem Zwang von Profitabilität stehende Management gerechnet habe. In der Industrie hätten sich „unter dem Druck von Rationalisierung und Standortkonkurrenz“ später wieder neo-tayloristische Konzepte der Arbeitsorganisation durchgesetzt. Die „Idee des demokratischen Unternehmens“ bedürfe der Unterstützung aus der Politik, von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, um robust zu sein. Vor allem aber seitens der Beschäftigten selbst – und des Managements.

Thomas Sattelberger, Isabell Welpe, Andreas Boes (Hg.): Das demokratische Unternehmen. Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft, HAUFE, 2015,

Die ausführliche Rezension ist in Heft 12 / 2015 der Zeitschrift „Personalführung“ erschienen. Leider nicht unter meinem Kürzel (rsp), sondern versehentlich unter dem meiner lieben Kollegin Dagmar Hess (dhs).