Was Google und das Berliner Flüchtlingsprojekt Arrivo beim Managen von Talenten gemeinsam haben

Mitarbeiter sollen heute fit für die VUCA-Welt und widerstandsfähig (resilient) sein. Was aber tun die Unternehmen, um das Talent in ihren Mitarbeitern zu entdecken und zu entwickeln? Darüber wurde auf der Jahrestagung Personalentwicklung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) „Perspektiven im Talentmanagement“ Ende 2015 kontrovers diskutiert.

„Talente schlummern in allen“, sagte Franziska Hartmann vom Berliner Flüchtlingsprojekt Arrivo auf der DGFP-Jahrestagung, die in den Räumen des Suchmaschinen-Giganten Google in Hamburg tagte. Als Projektkoordinatorin vermittelt sie Flüchtlinge auf Praktikums- und Ausbildungsplätze. Mit Erfolg: Viele Flüchtlinge haben ein Praktikum begonnen, die Berliner Wasserbetriebe werden ab Januar 2016 weitere auf eine technische Ausbildung vorbereiten. Auch Vattenfall und Berliner Betriebe aus dem Bereich Sanität Heizung Klima zeigen Interesse.

Google sucht keine HiPos, sondern das passende „Learning Mindset“

„Jeder ist ein Talent“, ist auch der Personalchef von Google in Deutschland von seinen Mitarbeitern überzeugt. Frank Kohl-Boas fügte hinzu: „Wir haben keine HiPos“. Für Google seien Talente interessant, die zum Unternehmen passten und das richtige „Learning-Mindset“ mitbrächten. Sind die Passenden rekrutiert, sei eigentlich kein gesonderter Bereich Learning & Development (L&D) mehr nötig, so Frank Kohl-Boas. Die Mitarbeiter würden sich selbst entwickeln wollen und diejenigen Angebote suchen, die notwendig seien.

Google unterstützt Selbstentwicklung durch die Möglichkeit, sich als Mitarbeiter gegenseitig zu trainieren („Googler-to-Googler“) und bereitet darauf didaktisch vor. Zur Entwicklung von Talenten zähle bei Google aber auch, Risiken einzugehen, so Frank Kohl-Boas. Dazu gehöre, Mitarbeiter in Führungsrollen zu bringen, die sie noch nicht beherrschten, und gestandene Führungskräfte zur Übernahme gänzlich neuer Aufgaben zu animieren.

Frauen in Google-Führungspositionen: Das „stimmt mich nachdenklich“

Ob Google keinen Bereich L&D hat, darauf ging Frank Kohl-Boas nicht ein. Auch den spannenden Punkt, wer wie bei Google zusätzlich zu „Googler-to-Googler“ systematisch entwickelt und ge- (und be-) fördert wird, streifte die Diskussion nicht. Dass bei Google im Talentmanagement nicht alles wunschgemäß verläuft, daraus machte deren Personalchef keinen Hehl. 2015 habe es Google in Deutschland nicht geschafft, „so viele Frauen in Führungspositionen zu bekommen, wie wir uns das vorgenommen haben“, meinte Frank Kohl-Boas. Dies stimme ihn „nachdenklich“: Das Unternehmen habe „tolle weibliche Talente“ und verfüge über sehr gute Rahmenbedingungen, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

Trotz Gegenwind: BASF-Entwicklungsgespräche für alle!

„Talent is in everyone“, lautet das Motto bei BASF. Um interne Talente entdecken und entwickeln zu können, setzt das Chemieunternehmen breit an. „Wir haben die Talententwicklung neu angestoßen“, sagte Anke Schmidt, Senior Vice President Global Talent Management bei BASF. Befragungen hätten gezeigt, dass sich die Mitarbeiter nicht ausreichend von den Führungskräften unterstützt fühlten. Aber auch die Mitarbeiter sollen zu mehr Eigeninitiative angehalten werden.

Der Kreislauf der Mitarbeiterentwicklung bei BASF besteht aus einem obligatorischen Entwicklungsgespräch, auf das sich der Mitarbeiter gezielt vorbereiten soll. Dann folgt eine Entwicklungsklausur, auf der die Führungskräfte des Bereichs untereinander Entwicklungsperspektiven des Mitarbeiters besprechen und für diesen Entwicklungsschritte definieren. Anschließend werden zwischen Mitarbeiter und Führungskraft Qualifizierungs- und Entwicklungsmaßnahmen vereinbart – und jährlich überprüft, so der Plan.

Wie umfassend der BASF-Ansatz ist, zeigt ein Vergleich: Beim Automobilzulieferer Mahle (66 000 Mitarbeitern weltweit) kommen allein Träger mit Potenzial für Führungsaufgaben in den Genuss von Entwicklungsgesprächen. Das entspricht 1,5 Prozent der Belegschaft. Gesprochen wird mit diesen Talenten über Entwicklung – einmal, so Joachim Reichle, Vice President Corporate Personnel Development and Learning bei Mahle.

Fachkräfte haben ebenso Talent

Grundlage des Talentprozesses bei BASF ist eine für die Mitarbeiter transparente Darstellung der Karrieremöglichkeiten. Ziel ist es, Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie ihre Begabungen und Stärken wirkungsvoll einbringen können. Entwicklung sei nicht gleichbedeutend mit Jobwechsel und mehr Geld, stellte Anke Schmidt klar. Auf die Frage, welche Ergebnisse die ersten Gespräche gebracht hätten, sagte sie: „Viele Mitarbeiter wünschen sich Hospitationen in anderen Bereichen“. Deren Eigeninitiative habe zugenommen, bei der Unterstützung durch die Führungskräfte gebe es noch Defizite.

Anke Schmidt, Senior Vice President Global Talent Management bei BASF: „Ich wusste nicht, wie viel Gegenwind mir entgegenschlug“.

Johnson Controls GmbH (Burscheid) bietet mit dem Programm „Talent 2020“ nicht nur Führungskräften Entwicklungsmöglichkeiten. Im Fokus stehen alle internen „Denker und Lenker von morgen“, um diese nicht extern suchen zu müssen. Nominiert werden die Kandidaten vom Vorstand. Was auf der Tagung nicht nur Beifall fand. Mitarbeitern müsse die Möglichkeit geboten werden, sich selbst für Entwicklungsprogramme anbieten zu können, dafür plädierte Katharina Heuer, Geschäftsführerin der DGFP.

Ob mit dem Programm „Talent 2020“ eine Führungs- oder Fachkarriere angestoßen wird, bleibt bei Johnson Controls zunächst offen. Damit reagiert das Unternehmen auf das, was schon lange bekannt ist: Jede Generation habe ihre eigene Motivstruktur und bei der Generation Y stünde Aufgabenverantwortung höher im Kurs als das Ziel, Führungskraft zu werden, betonte Christof Beutgen, Leiter Grundsätze Mitarbeiterentwicklung bei der DB Mobility Logistics AG (Berlin). Und räumte zugleich ein, wie schwer es in einem hierarchisch strukturierten Unternehmen wie der Deutschen Bahn sei, „Fachkräften die gleichen Schulterklappen zu geben wie Führungskräften“.

Frank Kohl-Boas (Google): „Ist Ihre Personalarbeit so aufgebaut, dass jemand nicht Führungskraft werden muss?“.

Eine weitere Talentbaustelle: Ältere Mitarbeiter

Auch in anderen Bereichen der Talentförderung besteht Nachholbedarf. Viele Unternehmen böten „Schonprogramme für ältere Mitarbeiter“ an, monierte Dr. Frank Zils, Director Human Resources bei Janssen-Cilag (Neuss). Sein Unternehmen dagegen habe gesagt: „Die brauchen wir in Zukunft noch.“ Resultat ist das Entwicklungsprogramm „Silverpreneure“. Dieses spricht Mitarbeiter an, die über 50 Jahre sind, 25 Jahre Berufserfahrung haben, begeisterungsfähig und neugierig sind und die sich noch aktiv einbringen wollen.

Was ein Talent sei, dafür gebe es keine universelle Definition, meinte Alfred Lukasczyk, Moderator der Jahrestagung und Dozent an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen. Aber in jedem Unternehmen müsse es eine geben. Pflichtet man dem bei, dürften Unternehmen mit einer breiteren Definition besser für den Bedarf an Fach- und Führungskräften gewappnet sein als solche mit einer engeren. Google-Personalchef Frank Kohl-Boas jedenfalls ist überzeugt: Wenn ein beim Recruiting identifiziertes Talent später sein Potenzial nicht entfalte, dann müsse sich die Organisation fragen, ob und warum sie „versagt“ hat.