Ökonomie contra Politik – Mutige Festschrift für Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn, der streitbare Ökonom und langjährige Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo Institut), ist in Rente gegangen. Für ihn haben sich Mitarbeiter, Kollegen, Politiker, Journalisten und andere Zeitzeugen die Mühe gemacht, eine lesenswerte Festschrift zusammenzutragen.

In der Festschrift wird das Wirken von „HWS“, wie der Name Hans-Werner Sinn von besonders engen Freunden abgekürzt wird, gewürdigt – und zwar durchaus kritisch. Dies ist für eine Festschrift mutig und macht sie dadurch zu einer lesenswerten. Dies aber auch, weil sie 25 Jahre kontroverse Debatten über die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarkt-, Europa- und zuletzt die Migrationspolitik in Deutschland nachzeichnet.

Hans-Werner Sinn hat in dieser Zeit, die von zum Teil weitreichenden Politikentscheidungen gekennzeichnet ist, wie kaum ein anderer Ökonom öffentlich für die aus seiner Sicht richtigen Weichenstellungen gefochten.

Einige Debatten hat er maßgeblich angestoßen und ein Bewusstsein für bis dato wenig bekannte Problemlagen geschaffen. Etwa für das Phänomen, dass große Exportüberschüsse mit einer hohen Arbeitslosigkeit einhergehen können („Basarökonomie“), und nicht zuletzt für die „Target-Falle“ im Zuge der Finanzkrise Griechenlands.

Kritik ist erlaubt

In manchem hat der Mahner Hans-Werner Sinn, der gerne als „Marktradikaler“ abgestempelt wurde, um sich nicht mit seinen vor allem für kurzfristig handelnde Politiker unliebsamen Befunden und Positionen auseinandersetzen zu müssen, Recht behalten. Mit einigen seiner Prognosen und Analysen aber auch nicht. Dafür zwei Beispiele aus der Festschrift:

1. Nach Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, ist der Mindestlohn nicht „des Teufels“ (so einst Hans-Werner Sinn). Vielmehr sei dieser in Deutschland weitgehend geräuschlos eingeführt worden und habe auch nicht zu massiven Beschäftigungsverlusten geführt.

2. Laut Klaus F. Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), sind in Europa „keine Anzeichen einer relevanten Wohlfahrtsmigration wissenschaftlich zu belegen“. Sinns Analyse, wonach vor allem Lohndifferenziale entscheidend für Migrationsentscheidungen seien, lasse „empirische und institutionelle Details“ vermissen.

Mehr Sinns erwünscht

Die Festschrift lehrt: Wer sich heute ökonomischen Sachverstand aneignen und in wirtschaftspoltischen Fragen fundiert mitreden möchte, der muss sich tief in die volkswirtschaftliche Materie einarbeiten. Zumal die Volkswirtschaftslehre im Zuge der Finanzkrise selbst in eine Krise geraten ist.

Sich bei der Meinungsbildung auf eine Schule oder die Ratschläge eines Ökonomen zu verlassen, genügt nicht. Auch nicht auf die von Hans-Werner Sinn, dessen öffentliches Engagement man sich von anderen Wissenschaftlern wünscht. Dafür sind die volkswirtschaftlichen Sachverhalte bis hin zu Fragen empirischer Evidenz zu komplex.

Gabriel Felbermayr, Meinhard Knoche und Ludger Wössmann (Hg.): Hans-Werner Sinn und 25 Jahre Deutsche Wirtschaftspolitik. Hanser, 2016.