Orte außergewöhnlicher Führung. Das Buch „Musterbrecher“ als DVD

In „Musterbrecher“ reisen Professor Hans A. Wüthrich (Lehrstuhlinhaber für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr München) sowie die Berater Dirk Osmetz und Stefan Kaduk an neun Orte, an denen „außergewöhnliche Führung“ stattfindet oder „zukunftsfähige Organisationen“ sich schon etabliert haben.

An diesen Orten brechen die Unternehmen – und eine Schule – mit gewohnten Mustern in Führung, Kommunikation, Organisationsgestaltung und Vergütung. Gerade deshalb scheinen sie erfolgreich zu sein. Beispiel COCOMIN AG: Deren Inhaber Andreas Glemser hat vor Jahren eine monatelange Auszeit genommen und dabei gelernt, dass er seinen Mitarbeitern voll und ganz vertrauen kann.

Diese haben während seiner Abwesenheit seine Aufgaben übernommen – und damit ungeahnte Freiräume für strategische Arbeiten des Inhabers nach seiner Rückkehr geschaffen. Was passiere, wenn Aufgaben abgegeben würden, könne man vorher nicht wissen, man müsse es ausprobieren, lautet die Botschaft von Andreas Glemser.

Führen ohne Fachlichkeit: Funktioniert besser als gedacht, wenn man vertraut

Um Vertrauen und die Fähigkeit, auf Ungewohntes adäquat zu reagieren, geht es auch beim Beispiel der Eidgenössischen Zollverwaltung. Im Vorfeld einer Reorganisation haben acht Führungskräfte der Zollverwaltung ihren Verantwortungsbereich verlassen und gelernt: sich von Fachlichkeit zu lösen, aus dem Bauch heraus zu führen, zu delegieren und den Mitarbeitern zu vertrauen. Das anfangs befürchtete Chaos stellte sich bei dem Perspektivenwechsel nicht ein und als Quintessenz bleibt aus Sicht der Führungskräfte, dass ein solcher Wechsel Bestandteil einer jeden Führungsbiografie sein sollte.

Beständige Zellteilung, um direkt miteinander kommunizieren zu können

Wo werden noch Muster gebrochen? Bei der W. L. Gore & Associates GmbH beispielweise. Dort sind die Mitarbeiter „Associates“ und können nur „Leader“ werden, wenn die Teams sie als solche akzeptieren und ihnen folgen. Was in diesem Kontext „Akzeptanz“ genau heißt, bleibt allerdings etwas vage. Ebenso, welche Rolle ein „Sponsor“ im Vergleich zu einem Leader hat. Einen Sponsor kann jeder Mitarbeiter frei ansprechen, damit dieser ihn bei seiner Entwicklung unterstützt.

Innovationsführer Gore, bei dem man Organigramme vergeblich sucht, leistet sich geradezu Verschwendung: Ab einer Größe von 150 bis 200 Associates werden immer wieder neue, eigenständige Organisationseinheiten („Zellen“) gegründet. Die Associates, die frei sind, jeder Idee nachzugehen und Initiativen zu gründen, müssten sich kennen und direkt miteinander kommunizieren können, so die Begründung. Und dass auf Konsens beruhende Entscheidungsprozesse länger dauern können als Direktiven, nimmt man bei Gore gerne in Kauf.

Musterbrecher versuchen, das Tun der anderen besser zu verstehen

„Für uns ist die Arbeit an Beziehungen das Zentrale“, antwortet Berater Stefan Kaduk auf die Frage, was das entscheidende Muster von Musterbrechern sei. Führen sei nichts anderes als das Gestalten von Beziehungen; und zwar ohne ein „künstliches Beziehungsmanagement“. Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel der Südostbayernbahn (SOB). Deren Sprecher der Geschäftsführung Christoph Kraller scheint so ein „Typ“ zu sein, dem es gelingt, ohne Managementallüren Beziehungen zu gestalten.

Einmal im Jahr gehen Christoph Kraller und die anderen SOB-Führungskräfte in die Züge der Bahn und fragen die Kunden nach ihren Sorgen und Wünschen. Ebenso sind sich Christoph Kraller und seine Führungskollegen nicht zu schade, Waggons selbst zu reinigen, um die Arbeitswelt der Mitarbeiter kennenzulernen. Musterbrecher seien bereit, das Tun der anderen emotional besser nachzuvollziehen, so die Off-Stimme der DVD-Produktion.

Sich als Chef daran gewöhnen, sich herauszuhalten

Wie wenig materielle Anreize den Ausschlag dafür geben, sich für ein Unternehmen zu engagieren, zeigt im Film das Beispiel der allsafe JUNGFALK GmbH & Co. KG. Hier wechselte ein Mitarbeiter angelockt durch sehr gute Verdienstmöglichkeiten in die nahgelegene Schweiz; und kehrte nach nur kurzer Zeit wieder zu allsafe JUNGFALK zurück. Ausschlaggebend dafür sei der durch wenig Hierarchie geprägte „eigene Geist“, der dort herrsche, so der Mitarbeiter. Detlef Lohmann, Geschäftsführer des Unternehmens, vergleicht dieses mit einem „Brummkreisel“, den die Mitarbeiter durch ihre Energie in Bewegung halten. Operativ hätten diese alle Freiheiten, selbst zu entscheiden. „Ich habe mir angewöhnt, mich herauszuhalten und Vertrauen zu entwickeln“, sagt Detlef Lohmann.

Wenn Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann müssen sie auch über ein Mehr an Informationen verfügen

Um dafür die Grundlage zu schaffen, legt allsafe JUNGFALK viele Zahlen offen. Wenn das Management über einen Informationsvorsprunge verfüge, warum sollten die Mitarbeiter, die demgegenüber nur ein allenfalls unvollständiges Bild hätten, bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen, kommentiert Berater Dirk Osmetz fragend das Beispiel allsafe JUNGFALK. Dort gilt die Devise, dass konstruktiv aufgearbeitete Fehler mehr Potenzial für Entwicklung in sich bergen, als ein System der strikten Fehlervermeidung. Außerdem wurden bei allsafe JUNGFALK zeitaufwendige Meetings abgeschafft. Die Mitarbeiter sollen sich permanent abstimmen. Dafür gefallen ist so manche Abteilungsgrenze – und aus Leitern wurden Experten oder Prozessverantwortliche.

Bewertung

Welche Erkenntnisse liefert der Film, indem weitere Unternehmen (Vollmer & Scheffczyk, Sparda-Bank München, RWD Schlatter) ihre Musterbrüche erläutern? Er zeigt, dass Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter zu haben, die Dinge so einfach wie möglich zu tun, permanent aufgabenorientiert und jenseits von Hierarchien und Abteilungsgrenzen zu kommunizieren sowie nicht nur im System, sondern am System zu arbeiten, sich lohnen.

Was fehlt in dem Film? Die individuelle „Pfadabhängigkeit“ für Musterbrüche und damit auch die Grenzen der Übertragbarkeit auf andere Unternehmen werden nicht immer deutlich. Hier fehlen an der einen oder anderen Stelle weitere Hinweise, aufgrund welcher Herausforderungen und Probleme im Einzelnen die eigenen Wege gewählt wurden.

Musterbrecher – Der Film, DVD zum Buch, Murmann, 2016